Im Mai jährte sich der 100. Geburtstag von Erich Fried, einen Literaten, Politiker und Mensch, der sich in keine Schablonen pressen lies. Erich Fried äußerte sich 1987 sehr direkt und in radikaler Form zu den militärischen Angriffen der Reagan-Regierung auf die nicaraguanische Regierung und Bevölkerung. Wir veröffentlichten damals sein Gedicht „Wo liegt Nicaragua?“ auf einem großen Plakat und organisierten eine gemeinsame Lesereise in Deutschland. Nachfolgend ein Bericht eines Lehrers der Erich-Fried-Gesamtschule in Wuppertal-Ronsdorf über Erich Fried, die Aktivitäten zum Geburtstag und den Rückblick auf die politischen Konflikte bei der Namensgebung. Im Anschluß dokumentieren wir Auszüge unseres 1987 herausgegebenen Büchleins „Wo liegt Nicaragua? Gedichte und ein Gespräch“ über ein Gespräch, das unser im April verstorbener Mitarbeiter Albert Luther damals mit Erich Fried und Pastor Heinrich Albertz führte.
Erich-Fried feiert Erich Fried
Anlässlich des 100. Geburtstages feierte die Erich-Fried-Gesamtschule Ronsdorf (EFG) trotz Corona ihren Namensgeber mit einer digitalen Geburtstagsfeier. In Kooperation mit dem Schulreferat des Kirchenkreises Wuppertal lud die EFG zu einem digitalen Interview mit dem Fried-Experten Thomas Wagner ein, der mit dem Werk „Der Dichter und der Neonazi“ eine Episode in Frieds Leben beleuchtet, die in Anbetracht von rechtsradikalen Anschlägen und dem zunehmenden Erfolg rechtspopulistischer Parteien aktueller erscheint denn je. Ende 1984 führte Erich Fried einen Briefwechsel mit dem Neonazi Michael Kühnen in dem festen Glauben, dass der Mensch nicht unbelehrbar sei.
In einer Zeit von gesellschaftlicher Restauration, WM-Titel und „Wir sind wieder wer“ war es nach dem Krieg nicht schwierig durch politische Literatur anzuecken, zu sehr hatten es sich viele Deutsche in einer Biedermeier-Kultur bequem gemacht. Da galt ein politischer Autor wie Erich Fried schnell als „Stören-Fried“. Er, dessen Vater 1938 bei einem Gestapo-Verhör starb und der über Belgien nach London fliehen musste, war unbequem für viele, die ihre Augen gerne vor dem Völkermord und dem Gräuel der NS-Zeit verschlossen. Als kritischer Lyriker und Aktivist in der APO legte er den Finger in die Wunde der Deutschen und trug viel zum allgemeinen Umdenken in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der NS-Zeit bei. Doch Erich Fried war mehr als nur politischer Aktivist, als Shakespeare-Übersetzer schaffte er es wie keiner vor ihm, die Wortgewalt des englischen Dramatikers in die deutsche Sprache zu übertragen. Seine Liebeslyrik ist bis heute zeitlos, seine Poetik einzigartig.
Erich Fried hat 1988, nur wenige Monate vor seinem Tod die Gesamtschule Ronsdorf besucht. Vorausgegangen war eine politische Diskussion um das in unserer Schule ausgehängte Gedicht „Wo liegt Nicaragua?“, herausgegeben von der Edition Nahua (Informationsbüro Nicaragua), in welchem der Dichter ausgehend von der Iran-Contra-Affäre illegale Kriegsführung kritisiert. Von einem Lokalpolitiker als „sozialistische Kaderschmiede“ verschrien, entstand im Zeichen des Ost-West-Konflikts vor Stadtrat und Landtag eine politische Diskussion um die Schule, die es bis in die überregionale Presse schaffte. Der SV (Schülervertretung) gelang es mithilfe des Informationsbüros Nicaragua, den Dichter einzuladen und in unserer Schule über den Vorfall zu diskutieren. Frieds Wirkung auf die Schülerinnen und Schüler war überwältigend und nachhaltig.
Im Jahr 1997 stellte die Schulkonferenz den Antrag, die Schule in „Erich-Fried-Gesamtschule Ronsdorf“ umzubenennen. Doch ein eigentlicher Verwaltungsakt entwickelte sich auch hier wieder zum Politikum. Auch lange nach seinem Tod galt der Dichter bei einigen Wuppertaler Politikern noch als „Stören-Fried“. Dennoch wurde unsere Schule mit Stimmenmehrheit umbenannt und zeugt noch heute von einem streitbaren Literaten, dem die Freiheit mehr am Herzen lag als politische Wohlbekömmlichkeit.
Im Foyer der Schule erinnert eine Ausstellung an Erich Frieds Leben, sein Werk und seine Verbindung zur Erich-Fried-Gesamtschule, die sich anlässlich des 100. Geburtstages verstärkt auf den Namensgeber zurückbesinnt. Neben der historischen Aufarbeitung des „Nicaragua-Plakat-Skandals“ wird es auch im kommenden Schuljahr Veranstaltungen zum Thema Erich Fried geben, dann hoffentlich nicht digital, sondern vor Ort und mit Zuschauer*innen.
Das Interview mit Thomas Wagner lässt sich hier anschauen: http://efg-ronsdorf.nrw/aktuelles/2021/05/erich-fried-feiert-erich-fried
Benjamin Breutel, Lehrer an der Erich-Fried-Gesamtschule Ronsdorf
Unsere Geschichte und unsere Verantwortung für Nicaragua
Auszüge unseres 1987 herausgegebenen Büchleins „Wo liegt Nicaragua? Gedichte und ein Gespräch„