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EU-Lieferkettengesetz: Für „großen Wurf“ nicht konsequent genug

Am 23. Februar hat die EU-Kommission ihren Entwurf für die „Richtlinie über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit“ veröffentlicht, das sogenannte EU-Lieferkettengesetz. Mit diesem Vorhaben möchte die EU Unternehmen dazu verpflichten, Risiken für Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung in ihren Lieferketten zu ermitteln und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Die Regeln sollen für alle Unternehmen im EU-Binnenmarkt mit mehr als 500 Mitarbeiter*innen und einem jährlichen Nettoumsatz von 150 Mio. EUR gelten. In den Risikosektoren Textil, Landwirtschaft und Bergbau sollen die Pflichten bereits für Unternehmen ab 250 Mitarbeiter*innen und einem Nettoumsatz von 40 Mio. EUR gelten. Nicht als Risikosektoren definiert sind die Bereiche Transport, Bauwesen, Energie und Finanzen, obwohl es auch hier oft erhebliche Risiken für Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen gibt. Die Pflichten sollen prinzipiell entlang der gesamten Lieferkette gelten.

Diese Punkte gehen zwar über das deutsche Lieferkettengesetz hinaus, dennoch würde das EU-Lieferkettengesetz damit weniger als 1% aller Unternehmen in der EU erfassen. Zudem beschränkt es die Sorgfaltspflichten von Unternehmen auf „etablierte Geschäftsbeziehungen“ – eine potenziell große Gesetzeslücke. Um Schäden präventiv zu verhindern, sieht der EU-Entwurf ähnlich wie das deutsche Gesetz Sanktionen und Bußgelder vor, wenn Unternehmen gegen ihre Pflichten verstoßen. Der EU-Entwurf enthält darüber hinaus auch eine zivilrechtliche Haftungsregelung, mit der Betroffene von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden gegen die verursachenden Unternehmen klagen können. Die Hürden für derartige Klagen sind aufgrund einer fehlenden Beweislastumkehr jedoch weiterhin sehr hoch, zudem besteht die Möglichkeit, dass sich Unternehmen durch Vertragsklauseln ihrer Verantwortung entziehen. Der Kommissionsentwurf betont zwar die zentrale Bedeutung des Privatsektors für die Einhaltung der 1,5°C-Grenze nach dem Pariser Klimaabkommen. Genau wie das deutsche Lieferkettengesetz versäumt er es allerdings, Unternehmen eigenständige klimabezogene Sorgfaltspflichten aufzuerlegen.

Der Kommissions-Entwurf geht nun im weiteren Verfahren an das Europäische Parlament sowie an den Rat. Einmal verabschiedet, müssen die EU-Mitgliedsstaaten die Richtlinie in nationales Recht umwandeln. Deutschland muss in dem Fall das 2021 verabschiedete Lieferkettengesetz anpassen. Ursprünglich hatte EU-Justizkommissar Reynders angekündigt, zusammen mit dem EU-Lieferkettengesetz auch die Nachhaltigkeitspflichten von Geschäftsführungen neu zu regeln („Directors‘ Duties“). Diesen Teil des Gesetzespakets hat die EU-Kommission nach starken Protesten von Unternehmensverbänden jedoch stark reduziert.

Hier die Bewertung aus Sicht des zivilgesellschaftlichen Bündnisses „Initiative Lieferkettengesetz“:
„Mit diesem Entwurf legt die EU endlich den Grundstein für weniger Ausbeutung und Umweltzerstörung in den Lieferketten europäischer Unternehmen. Für den großen Wurf müsste die EU aber die heißen Eisen konsequenter anfassen: Sorgfaltspflichten nicht nur für ein Prozent der Unternehmen. Klare klimabezogene Pflichten in der Lieferkette. Und eine Haftungsregelung ohne Schlupflöcher, die endlich Gerechtigkeit für Betroffene von Menschenrechtsverletzungen schafft. An diesen Punkten hat die Kommission dem Lobby-Druck der großen Wirtschaftsverbände nachgegeben. Die Bundesregierung hat daher jetzt einen klaren Handlungsauftrag: Sie muss ihren Einfluss in der EU nutzen, um sich für Nachbesserungen einzusetzen. Schließlich hat sie sich im Koalitionsvertrag zu einem ‚wirksamen‘ EU-Lieferkettengesetz bekannt. Erfreulich ist, dass der EU-Entwurf einige Lücken des deutschen Gesetzes schließt und Unternehmen entlang ihrer gesamten Lieferkette in die Verantwortung nimmt. Auch die vorgesehene zivilrechtliche Haftung gibt Anlass zur Hoffnung. Ob es Betroffenen in Zukunft jedoch wirklich gelingt, Schadensersatz von Unternehmen zu erstreiten, ist weiterhin fraglich. Kritisch ist die Begrenzung der Sorgfaltspflichten auf ‚etablierte Geschäftsbeziehungen‘ – niemand sollte diese Pflichten durch häufige Wechsel von Geschäftspartnern umgehen können. Dass Unternehmen nunmehr einen Klimaschutzplan in Übereinstimmung mit dem 1,5°C-Ziel des Pariser Übereinkommens erstellen müssen, ist grundsätzlich zu begrüßen. Inakzeptabel ist jedoch, dass Unternehmen, die ihrem Plan nicht gerecht werden, keine Haftung zu befürchten haben. Angesichts des rasant fortschreitenden Klimawandels ist das Vorhaben an dieser Stelle schlicht nicht zeitgemäß.“

Zur Erinnerung: In der Kritik am deutschen Lieferkettengesetz standen besonders drei Elemente:

Aktionstheater für ein Starkes Lieferkettengesetz (Wuppertal)
  • Gesamte Lieferkette: Die größten Risiken gibt es am Beginn der Lieferketten. Ein wirksames EU-Lieferkettengesetz muss für die gesamte Wertschöpfungskette gelten und darf nicht hinter die UN-Leitprinzipien zurückfallen.
  • Klima und Umwelt: Unternehmen müssen dazu beitragen, Artensterben und Klimakrise nicht weiter zu verschärfen. Ein wirksames EU-Lieferkettengesetz muss umwelt- und klimabezogene Sorgfaltspflichten enthalten.
  • Haftung: Betroffene brauchen die Möglichkeit, von verantwortungslos handelnden Unternehmen Schadensersatz einzuklagen. Ein wirksames EU-Lieferkettengesetz muss eine zivilrechtliche Haftung vorsehen.

Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag zu einem wirksamen EU-Lieferkettengesetz bekannt.Und in einem vom Business and Human Rights Resource Center veröffentlichten Statement sprechen sich mehr als 100 Unternehmen und Investoren für ein starkes EU-Lieferkettengesetz aus. Das Besondere daran: Sie fordern auch eine zivilrechtliche Haftungsregel!
 Zu diesem Thema haben Misereor und das Global Policy Forum (GPF) eine Recherche veröffentlicht. All das findet ihr hier: https://lieferkettengesetz.de/pressemitteilung/kommission-kundigt-entwurf-an-mehr-als-100-unternehmen-fordern-haftungsregel/