Mit dieser Frage beschäftigte sich eine Gruppe Interessierter in einer kleinen zoom-Veranstaltung, die das Infobüro Nicaragua im Rahmen einer Reihe über die politische Entwicklung Nicaraguas in den letzten 40 Jahren durchführte. Der Referent, Matthias Schindler, Aktivist der Nicaragua Solidarität seit 1979, Mitbegründer der Städtepartnerschaft Hamburg/Leon und Buchautor („Vom Triumph der Sandinisten zum demokratischen Aufstand“) zeichnete zuerst anhand verschiedener Ereignisse nach, wie es zu dem dramatischen Wechsel von der Sandinistischen Revolution zur Diktatur Ortega-Murillo kommen konnte. Im zweiten Teil identifizierte er als Kern des Problems, dass die Sandinistische Revolution äußerlich demokratisch gewesen sei, während der innere Kern seit Anfang autoritär verfasst war. Während also in der Gesellschaft Gewerkschaften, Massenorganisationen, Mobilisierungen, eine Vielzahl von Parteien, partizipative Strukturen, Gewaltenteilung und die Durchführung von Wahlen aufgebaut wurden, war die Partei gleichzeitig immer autoritär konstruiert, mit einer Dirección Nacional, ohne Partei-Demokratie, ohne Partei-Kongresse, ohne Wahlen. Der autoritäre Kern der FSLN hat sich letztlich durchgesetzt. Wenn diktatorische Deformationen, wie der Orteguismus, verhindert werden sollen, dann sind demokratische Organisationsformen unerlässlich. „Ohne interne Demokratie keine Emanzipation!“, so die Schlußfolgerung des Referenten. Der Vortrag samt Folien kann hier angehört werden:
In der nachfolgenden Diskussion wurde die Frage vertieft, ob es in dieser Entwicklung eine Kontinuität von Demokratie zur Diktatur gab oder aber einen wahrnehmbaren signifikanten Bruch. So wurde von bekannten Persönlichkeiten wie Vilma Nunez darauf verwiesen, dass es nach der Wahlniederlage von 1990 einen breiten parteiinternen Prozeß der Aufarbeitung gegeben habe, der 1992 in der Einrichtung einer Ethik-Kommision 1992 kumulierte, die alle undemokratischen Verhaltensweisen zusammenfassen sollte. Diese Kommision wurde von Daniel Ortega mit dem Hinweis aufgelöst, dass es jetzt darauf ankomme, alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen, um die Macht zu erringen und sie nie wieder abzugeben.
Ein weiterer Diskussionsbeitrag hinterfrage die vermeintlich demokratische Außenausrichtung der FSLN, da sie doch basierend auf der starken Rolle eines staatlichen Entwicklungsmodells die Individuen funktionalisierten und soziale Bewegungen als Transmissionsriemen der Partei zurichteten. Keineswegs sei die Stärkung sozialen Empowerments ihr Ziel gewesen. Dies zeigte sich besonders bei der Einbindung der Bauern in den staatlichen Agrarsektor, die Einbindung indigener Bevölkerungsgruppen in den Zentralstaat, bei der Umsiedlungspolitik oder bei der „Mässigung“ feministischer Themen der (sandinistischen) Frauenorganisationen.
Hinweis: In der aktuellen IZ3W vom Juli/August ist ein Beitrag: „Von der Befreiung zur Diktatur – Lernerfahrungen aus der Solidaritätsbewegung zu Nicaragua“ von Klaus Heß und Matthias Schindler erschienen.