Aktueller hätte das Kernthema „Konversion“ des politischen Frühstücks kaum sein können, angesichts der Krise bei VW, anderen Automobilkonzernen und ihren Zulieferern. Die Industrie steht vor einem großen Umbruch weg von den Verbrennungsmotoren hin zu Elektroautos. Der Absatz von Autos sinkt in Zeiten von Krise und Inflation, chinesische Hersteller produzieren mittlerweile eigene Fahrzeuge zu weit günstigeren Preisen und exportieren diese.
Es deutet sich an, dass der Wandel in der Weltwirtschaft, der Umstieg auf Elektromobilität und der Umbau anderer Industrien auf klimaschonende Technologien auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden. Deutsche Autokonzerne haben viel zu lange am Verbrenner festgehalten, sie produzieren fast ausschließlich große und hochpreisige Fahrzeuge. Überhaupt nicht mitgedacht wird, dass Individualverkehr mit Blick auf den Klima- und Umweltschutz keine Zukunft hat, denn auch Elektroautos haben einen beachtlichen ökologischen Fußabdruck, die Metalle und Seltenen Erden für die Batterien werden unter fragwürdigen Bedingungen gefördert. Vielmehr geht es darum, den öffentlichen Nahverkehr massiv auszubauen.
Genossenschaft „Ex-GKN for Future“
Ein beeindruckendes Beispiel aus Italien für eine Initiative einer Belegschaft, ihr Unternehmen auf klimafreundliche Produktion umzubauen, schildert Kathy Ziegler, Gewerkschafterin und Journalistin. Der Automobil-Zulieferer GKN Automotive nahe Florenz soll geschlossen werden und alle Mitarbeitenden sind entlassen worden. Die Beschäftigten halten seitdem ihr Werk in einer „dauernden Betriebsversammlung“ besetzt. Ihr Ziel ist es, die Produktion auf Solarmodule und Lastenfahrräder umzustellen, den Betrieb als eine demokratisch organisierte Genossenschaft weiterzuführen. Der Widerstand von Seiten des Managements und der Politik ist groß. Vor Gericht wird entschieden, ob das Grundstück der Genossenschaft zur Weiternutzung des Werks überlassen wird. Ihre Kampagne findet international große Beachtung und Solidarität, auch aus der Klimabewegung. Bis Ende September gilt es, über den Verkauf von Genossenschaftsanteilen ein Startkapital von 1 Million Euro zu sammeln.
Fundraising „Jobs for Future“: https://www.gofundme.com/f/n6vk2-jobs-for-future-100000-fur-die-genossenschaft-gff
VW = VerkehrsWende und Vergesellschaftung Wagen
So weit ist es bei VW noch nicht, doch auch dort gibt es widerständige Mitarbeitende, die sich den jüngsten Schließungs- und Entlassungsplänen entgegenstellen. Thorsten Donnermeier ist Vertrauensmann bei VW Kassel und hat dort jahrelange Erfahrung im unmittelbaren Kontakt mit den Arbeiter:innen am Band und in der politischen Arbeit. Er und andere Mitarbeitende haben sich den Protesten der Klimabewegung direkt am Werk in Wolfsburg angeschlossen. Sie sind beeindruckt von dem Mut und der Entschlossenheit der jungen Menschen, mit Aktionen des zivilen Ungehorsams um den automobilen Konsens in Wolfsburg aufzubrechen, mit dem Risiko, dafür straf- und zivilrechtlich belangt zu werden. Donnermeier unterstützt die Forderung, VW und andere Werke auf eine zukunftsfähige Produktion z.B. von Schienenfahrzeugen umzustellen. Würde der ÖPNV so konsequent wie nötig erneuert und ausgebaut, wäre der Bedarf danach riesig.
Sehr wichtig ist ihm bei den Forderungen nach einer Konversion der Industrie, dass die Interessen der Mitarbeitenden ernst genommen werden. Sie verteidigten zurecht ihren Lebensstandard, hätten ihre Familien zu versorgen und Häuser abzubezahlen. Auch in der klimafreundlichen Industrie müssten sichere und gut bezahlte Jobs erhalten bleiben. Tariflich vereinbarte Beschäftigungsgarantien der Unternehmen seien das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben seien, denn über Öffnungsklauseln könne das Management sie jederzeit kündigen. Ein weiteres wichtiges Anliegen ist Donnermeier eine Demokratisierung der Arbeitsprozesse, dass alle Beschäftigten aktiv mitentscheiden und -gestalten könnten, was und in welcher Weise ein Werk produziert.
Trailer zum Dokumentarfilm „Verkehrswendestadt Wolfsburg“: https://de.labournet.tv/verkehrswendestadt-wolfsburg-trailer
Umgestaltung von Brachflächen in Wuppertal
Abschließend sprach Rainer Lucas ein lokales Thema für die Stadt Wuppertal an: die Umnutzung von Brachflächen und leerstehende Gebäude im Stadtgebiet. Es handelt sich hierbei überwiegend um kleinere Flächen von mittelständischen Unternehmen, die im Laufe der Jahre oder Jahrzehnte ihre Produktion eingestellt oder ins Ausland verlagert haben. Der Strukturwandel dauert schon länger an, seit in den 70er Jahren die Textilindustrie in überwiegend fernöstliche Länder abwanderte. Auch Autozulieferer wie Schäffler haben ihren Standort in Wuppertal geschlossen.
Es gibt einige Projekte wie die Elba-Fabrik, in denen lokale Investoren die Areale umgebaut haben. Mit Utopiastadt, neuerdings dem BOB Campus und einigen anderen Standorten konnten einige Gelände aus der Zivilgesellschaft heraus für gemeinnützige Zwecke entwickelt werden. Rainer Lucas fordert von der Stadtpolitik einen Masterplan zur Umnutzung von Brachflächen. Zunächst müsse erfasst werden, wo potenzielle Orte sind, um dann in einem partizipativen Prozess in der Stadtgesellschaft zu entscheiden, welche Bedarfe zur Entwicklung bestehen und wie sie verwirklicht werden können.
Die Themen des Frühstücks waren so vielfältig und komplex, dass sie die vier Stunden Zeit gut drei Mal hätten füllen können. Wieder hat die Veranstaltung zum Austausch und zur Vernetzung beigetragen und die Teilnehmenden nahmen viele Eindrücke und Ideen für zukünftige Frühstücke mit.
Zum Hintergrund: Als Belegschaftsinitiativen werden Initiativen verstanden, die jenseits von betrieblicher Mitbestimmung die direkte Einflussnahme auf Unternehmensentscheidungen bis hin zur Betriebsübernahme bezwecken. Zentrales Ziel ist die Sicherung von Arbeitsplätze und Beschäftigung insbesondere in Krisensituationen, indem sich Belegschaften zu Eigentümern machen als Alternative zu Sozialplänen und Transfergesellschaften. Die letzte Welle in Westdeutschland gab es in den 1980er Jahren, die zu breiten Diskussionen in den Gewerkschaften, bei der IGMetall gar zur Herausgabe von Handlungsleitfäden führte.
Beispiele
- Schließung der Bremer Voith Werke 1983 und Übernahme durch die Belegschaft bis 1989, Initiative des Betriebsratsvorsitzenden, betrieblicher Arbeitskreis, Kauf der Maschinen durch den Bremer Senat.
- Flauschen- und Stanzwerk Mönninghoff in Hattingen 1983
- Aluminiumwerk Unna 1999, Weiterführung mit 25% Belegschaftsanteil, Initiative des BR-Vorsitzenden
- Flachglas Wernberg (Ostbayern); Weiterbetrieb als Belegschafts-Buy out
- Strike Bike ist nach einer Betriebsbesetzung aus dem VEB IFA Fahrräder 2007 entstanden.
Parallel wurde der historische Ansatz der Produktivgenossenschaften in den Selbstverwaltungsbetrieben der alternativen Ökonomie wieder aufgegriffen. Nach der Wiedervereinigung entstand die Alternative Idee der Betriebsübernahmen bzw. Arbeiterselbstverwaltung gegen die Privatisierung ostdeutscher Betriebe. 3000 Unternehmen wurden von den Managern und teilweise Belegschaften übernommen.
Konversion im engeren Sinne bedeutet die Umstellung von Rüstungsproduktion auf zivile Produkte, wie es z.B. in den 1980er Jahren die Kampagne „Schwerter zu Pflugscharen“ ausdrückt. Allgemeiner meint es die Umstellung der Produktpalette auf bessere Produkte (weil ökologisch) und neue Märkte (weil binnenmarkt- oder bedarfsorientiert). So forderte IGM Vorstandsmitglied Urban bereits 2009 eine forcierte gesellschaftliche Konversionsstrategie, ohne allerdings Taten folgen zu lassen. Beispielhaft war die Insolvenz des britischen Rüstungskonzerns Lucas Aerospace 1976, wo alle Betriebsräte gemeinsam einen Unternehmensplan zur Produktion von Wärmepumpen, Ultraschallgeräte, Hybridmotoren entwickelten. Den Kampf um die Erhaltung der Arbeitsplätze haben sie mit dem Kampf um die Entwicklung nützlicher Produkte verbunden und dabei eine breite europaweite Öffentlichkeit hergestellt. Die Unterstützung der Labourpartei endete, als diese in die Regierung eintrat. Auch in Deutschland wurde Konversion zum breiten Thema, es entstanden 50 betriebliche Arbeitskreise im IG Metall Bereich zur Entwicklung alternativer Produktionskonzepte. Beispiel war die Werftenkrise und die Diskussion um die Zukunft der Hamburger Blohm und Voss 1981.
Eingeladen zum Frühstück hatten die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter für Klimaschutz und das Informationsbüro Nicaragua