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Ulrich Brand: Post-Wachstum und Gegen-Hegemonie

VSA Verlag, 2020, 250 Seiten

Das Buch geht der Frage nach, wie gesellschaftliches Leben, Arbeit, soziale Institutionen und Infrastrukturen, Demokratie und Staat sowie das gesellschaftliche Naturverhältnis dauerhaft und weltweit zukunftsfähig werden. Es versammelt in den letzten 10 Jahren erschienene Aufsätze: zu Ansätzen einer Gegenhegemonie in Zeiten der Krise, zu linker Wachstumskritik und alternativen Wohlstandsmodellen, zu Global Governance und Klimakrise, und unternimmt dabei auch einen Ausflug nach Lateinamerika, wo Anspruch und Wirklichkeit der Regierungen „des progressiven Zyklus“ besonders beim Neo-Extraktivismus, im Staatskonzept und im Verteilungsmodell analysiert und dabei auch die Spielräume für eine linke Politik ausgelotet werden.

Sein Ausgangspunkt: Eine auf Post-Wachstum gegründete Perspektive gegen die imperiale Lebensweise muß Rahmenbedingungen für ein Gutes Leben für Alle schaffen. Post-Wachstum bedeutet ein anderes Wohlstandsmodell und erfordert eine gesamtgesellschaftliche und globale Perspektive sozial-ökologischer Transformation.

Besonders soll hier auf die zur Corona-Krise neu verfassten einführenden Kapitel eingegangen werden. In der Corona-Krise sieht Ulrich Brand Chancen für „begreifen und Initiativen setzen“. Krisen sind die Stunde der Exekutive verbunden mit hoher Akzeptanz der Bevölkerung, das galt bei der Finanzkrise und jetzt in der Coronapandemie. Warum nicht daraus lernen, dass es auch in der Klimakrise möglich ist, deutlich stärker politisch umzusteuern hin zur sozial-ökologischen Transformation? Auch staatliche Eingriffe in die Unternehmens- und Markthoheit, wie Produktkonversion in Richtung gesundheitsrelevante Güter, regionale und lokale Formen des Reisens oder das Einbrechen von globalen Lieferketten verweisen auf progressive Forderungen nach „De-Globalisierung“, auf die Legitimität gesellschaftlicher Wirtschaftssteuerung oder die Relevanz eines öffentlichen Sektors. Statt des in allen gesellschaftlichen Branchen vorhandenen Wachstumsparadigmas zeige sich die Bedeutung der „Alltagsökonomie“, der medizinischen, der Pflege- und Erziehungsberufe, von Lebensmittelproduktion und -handel, öffentlicher Daseinsvorsorge, aber auch der unbezahlten Reproduktions- und Pflegearbeit.  Die erkennbaren Schieflagen zu den bisher „systemrelevanten“ (männlich dominierenden) Industrie- und Finanzwirtschaftsbranchen müssen und können korrigiert werden. Dass Menschen bereit sind ihr Verhalten radikal zu ändern lässt potenzielle Elemente einer solidarischen Lebensweise für eine „Postwachstumsgesellschaft“ aufscheinen, die einerseits aus einer materiellen Deprivilegierung derjenigen hervorgehen muss, die aktuell auf Kosten anderer leben, und andererseits Denk- und Probierräume für ein vielfältiges Miteinander jenseits von Konkurrenzzwang und Entfremdung eröffnet. Das neue „Wir“ nach der Coronakrise wird umkämpft sein, aktuelle Alltagserfahrungen und Elemente wie das in einigen Ländern eingeführte Grundeinkommen könnten nicht mehr so einfach zurückgenommen werden. Und schließlich wird die Dringlichkeit internationaler Zusammenarbeit deutlich, die globale Dimension der Corona-Krise verschafft eine verstärkte Aufmerksamkeit für die Verhältnisse in anderen Ländern und ruft nach supranationalen Reaktionsmöglichkeiten der Weltgesundheitsorganisation oder anderer UN-Organisationen.

Eine linke Politik müsse diese Gelegenheitsfenster nutzen und weitergehende Perspektiven aufzeigen, diskutieren und organisieren. In aller Unsicherheit und Unübersichtlichkeit gebe es ein großes Bedürfnis nach Information, Einordnung und Orientierung: Welche Rolle spielen globale Lieferketten, wie müssen sie sozial und klimagerecht gestaltet werden? Wie kann eine ausreichende Gesundheitsversorgung sichergestellt werden? Welchen Zusammenhang gibt es zwischen unserem Fleischkonsum, dem brennenden Amazonas-Regenwald und Arbeitsbedingungen und Gesundheitsschutz in den Schlachtbetrieben? Welche wirtschaftlichen Alternativen gibt es zur Sicherung der Lebensbedürfnisse, wie wird selbstbestimmtes Arbeiten möglich, wie solidarisches Wirtschaften zwischen dem Globalen Norden und Süden?

Im Kapitel zu Klimagerechtigkeit und Freiheit werden Strategien gegen einen autoritären Grünen Kapitalismus und alternative Projekte als strategische Einsatzpunkte für eine emanzipatorische sozial-ökologische Transformation entwickelt, die als „radikaler Reformismus“ gleichzeitig über den Kapitalismus hinausweise. Dabei mangele es nicht an Einstiegsprojekten wie radikale Arbeitszeitverkürzung, hoher Mindestlohn, Wirtschaftsdemokratie, Agrar- oder Mobilitätswende, transformative Kreislaufwirtschaft oder soziale Infrastrukturen für ein Gutes Leben. Noch fehlen aber weitergehende durchsetzungsfähige systemische Alternativen. Und als solche sieht Brand die Debatten um Post-Wachstum, das politische Projekt um einen linken Green New Deal, den demokratischen Öko-Sozialismus und ein emanzipatorisches Verhältnis von Freiheit und Klimagerechtigkeit. Und diese Themen werden in den nachfolgenden Kapiteln breit ausgeführt.

Wer Ulrich Brand und seine Publikationen kennt, für die bringt das im Frühjahr 2020 verfasste Buch bis auf die einführenden Kapitel nur eine Wiederauflage bereits veröffentlichter Aufsätze. Wer aber einen -zudem aktualisierten und über die Coronakrise ergänzten- Überblick über seine Ansätze zur politischen Ökologie, multipolare Krise und sozialökologische Transformation, Postextraktivismus und Gutes Leben, imperiale Lebensweise und neuer Internationalismus sucht, die/der wird das finden.

Das Buch als pdf zum Download

K.H.