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Nicaragua cancelt fast 200 Nichtregierungsorganisationen in einer umfassenden „Säuberung“ der Zivilgesellschaft

The Guardian Nicaragua cancels nearly 200 NGOs in sweeping purge of civil society | Nicaragua | The Guardian 2.6.2022

Der von den Sandinisten kontrollierte Kongress Nicaraguas hat fast 200 Nichtregierungsorganisationen aufgelöst, von einem örtlichen Reitzentrum bis zur 94 Jahre alten Nicaraguanischen „Academia de Letras“ , was Kritiker als Versuch Daniel Ortegas bezeichnen, die Zivilgesellschaft des Landes auszuschalten.

A motorcyclist waits at the entrance of Nicaragua’s Language Academy in Managua, on Tuesday. It was one of dozens of non-governmental organizations dissolved. Photograph: AFP/Getty Images

Abgeordnete der Partei des Präsidenten und ihrer Verbündeten stimmten am Donnerstag einstimmig für die Streichung von 96 Organisationen. Am Dienstag folgten 83 weitere. Seit sich die Straßenproteste im April 2018 gegen die Regierung Ortega richteten, hat die Regierung mehr als 400 Organisationen aufgelöst.

Zunächst waren die Ziele oft mit prominenten Oppositionsfiguren verbunden, die Ortega beschuldigte, mit ausländischen Interessen zusammenzuarbeiten, um seine Regierung zu stürzen. Aber jetzt scheint die Regierung darauf bedacht zu sein, die Zivilgesellschaft von allen Organisationen zu säubern, die sie nicht kontrolliert.

„Diese Streichungen haben das Ziel, jede soziale und politische Vision zu eliminieren, die von der des Regimes abweicht“, erklärte die in Paris ansässige Beobachtungsstelle für den Schutz von Menschenrechtsverteidigern am Donnerstag in einer Erklärung. „Es handelt sich nicht nur um politische oder Vereinigungen zur Verteidigung der Menschenrechte, sondern auch künstlerische, journalistische, erzieherische, wissenschaftliche, umweltpolitische und soziale Organisationen sind Opfer der Verfolgung. Das ultimative Ziel ist es, jede Möglichkeit einer unabhängigen Zivilgesellschaft in dem Land zu beseitigen“.

Die Regierung behauptet, dass die Organisationen gestrichen wurden, weil sie die 2020 geltende Vorschrift, sich als „ausländische Agenten“ zu registrieren, nicht erfüllt haben. Am Donnerstag erklärte der Abgeordnete Filiberto Núñez, sie hätten es auch versäumt, die gesetzlich vorgeschriebenen Finanzberichte vorzulegen.

Die Anzahl der Nichtregierungsorganisationen nahm in Nicaragua während der sandinistischen Revolution zu und erlebte einen Boom während der Präsidentschaft von Violeta Chamorro. Ihre Tochter Cristiana Chamorro, Präsidentschaftskandidatin in der letzten Wahl, die derzeit in ihrem Heimatland eine Haftstrafe verbüßt, beschloss übrigens im vergangenen Jahr, die nach ihrer Mutter benannte Stiftung zu schließen, nachdem das Gesetz über ausländische Agenten in Kraft getreten war.

Das Ausmaß der betroffenen Organisationen ist verblüffend. Auf der am Donnerstag veröffentlichten Liste standen die Gesellschaft für Pädiatrie, das Nicaraguanische Entwicklungsinstitut, die Konföderation der nicaraguanischen Berufsverbände und die Nicaragua Internet Association.

Einige der Organisationen überraschen nicht, wie das Zentrum für Internationale Studien, das von Ortegas Stieftochter Zoilamérica Ortega Murillo gegründet wurde, die Ortega vor Jahren des sexuellen Missbrauchs beschuldigte und heute im Exil lebt.

Aber es gibt auch Organisationen ohne großen politischen Bezug wie das Reitzentrum Cocibolca, den Rotary Club der westlichen Stadt León und die Operation Smile Association, die kostenlose Operationen für Kinder mit Lippen- und Gaumenspalten finanzierte, bis sie im März aufgelöst wurde. Ein prominenter Geschäftsmann, der mit dieser Gruppe verbunden ist, hatte 2018 an Protesten teilgenommen.

Viele Organisationen widmeten sich der Unterstützung der am stärksten Ausgegrenzten in einem Land, das bereits unter extremer wirtschaftlicher Prekarität leidet.

Die Soziologin Elvira Cuadra sagte, Ortega habe sich an sozialen Gruppen gerächt, die seiner Meinung nach versucht hätten, ihn 2018 aus dem Amt zu jagen, und versuche außerdem, „das soziale Gefüge zu zerstören, um die Fähigkeit zu beseitigen, die Machtausübung [der Regierung] zu kontrollieren“.

„Je schwächer die Gesellschaft wird, desto mehr konsolidiert sich der autoritäre Staat, und die Bürger verlieren die Möglichkeit, von der öffentlichen Verwaltung Rechenschaft zu verlangen“, sagte sie.

Cuadra sagte, es sei möglich, dass einige der aufgelösten Gruppen bereits inaktiv seien, aber sie glaube nicht, dass es sich nur um ein Aufräumen der zivilen Organisationen handele, weil die Regierung ihnen keine Gelegenheit gebe, sich an die neuen gesetzlichen Anforderungen anzupassen. „Es gibt einen politischen Willen, die Zivilgesellschaft in Nicaragua in eine Wüste zu verwandeln.“