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Nachruf auf Hans-Christian Ströbele, der am 29.8.2022 im Alter von 83 Jahren gestorben ist

2017

Nachruf von Barbara Lucas für das Informationsbüro Nicaragua

Christian Ströbele hat sich als Grünen-Politiker immer auch für die Befreiungsbewegungen des globalen Südens eingesetzt und war deshalb für uns Aktivist*innen aus der Mittelamerika-Solidarität ein wichtiger Bezugspunkt und Mitkämpfer.

Als junger Jurist war er nach Berlin gekommen und hatte sich dort in den Protesten gegen den Vietnamkrieg politisiert. Der Mord an dem Studenten Benno Ohnesorg am 2.Juni 1967 bei der Protestdemonstration gegen den Besuch des Schahs von Persien und die anschliessende Pressehetze gegen die Studierenden empörten ihn zutiefst. Den Untersuchungsausschuss, den Studierende zur Aufklärung des Mordes an Benno Ohnesorg gründeten, sah er als bürgerschaftliche Notwehrmaßnahme an angesichts eines Rechtsstaates, der vollkommen versagte.

Nach und nach erkannte er, wie sehr das deutsche Justizwesen noch von alten Nazis durchdrungen war und empörte sich darüber, daß in der BRD niemals ein NS-Jurist verurteilt worden war. 1968 erlebte er in Prag die Niederschlagung des Prager Frühlings und in Berlin das Attentat auf Rudi Dutschke. Wie viele seiner Weggefährt*innen berichten, war sein Engagement in einer tiefen moralischen Empörung über staatliches Unrecht verankert und nährte sich aus einem unbeirrbaren Gerechtigkeitsempfinden. Aus dieser Haltung heraus war er durchaus unbequem in seinem Engagement als Politiker der Grünen, sowohl im Bundestag wie auch in seiner eigenen Partei. Er trat immer für den Schutz der Bürger*innen gegenüber dem Staat ein und gegen alle Formen des Militarismus. Das Parlament, dem er jahrelang als einziger Direktkandidat der Grünen angehörte, war für ihn eine wichtige Plattform für die Verteidigung der Interessen der sozialen und politischen Basisbewegungen.

Für sein Referendariat wurde er Ende der 1960er Jahre Teil des Sozialistischen Anwaltskollektivs in Westberlin und verteidigte in unzähligen Prozessen Menschen gegen staatliche Übergriffe. Später wurde er in die Verteidigung der ersten RAF Gefangenen miteinbezogen und  wegen angeblicher Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verhaftet und rechtskräftig zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, was auch dazu führte, daß er nicht Richter werden konnte, da er damit praktisch ein Berufsverbot bekam. Diese Verurteilung hat er allerdings nie als rechtmässig anerkannt und sagte noch in Interviews vor wenigen Jahren, daß der Aufbau eines Kommunikationssystems unter den Gefangenen der RAF zur Überwindung der unmenschlichen Isolierung und zur Verteidigung der Angeklagten gedient habe. Insofern  wäre er uns auch heute mit Sicherheit ein treuer Verbündeter beim Protest gegen die unmenschlichen Haftbedingungen der politischen Gefangenen in Nicaragua, wo Isolationshaft, psychologische Folter und Hunger zur Tagesordnung gehören.

Während 1978/1979 der Kampf gegen die Somoza-Diktatur in Nicaragua in seine letzte Phase eintrat, initiierte Christian Ströbele mit anderen die Gründung der ersten bundesweiten linken Tageszeitung „TAZ“, die ab Sommer 1979 täglich erschien. Klaus Dieter Tangermann war schon bald ihr Mittelamerika-Korrespondent und sorgte damals für ständig aktuelle Nachrichten und Reportagen vor allem aus Nicaragua und El Salvador, was für die Solidaritätsbewegung von grosser Bedeutung war. Damals war Nicaragua ein Land, das alle Hoffnungen der undogmatischen Linken auf sich zog, da dort in einem breiten Bündnis gesellschaftlicher Kräfte versucht wurde, eine neue Gesellschaft aufzubauen. Und wir hatten  die grosse Hoffnung, daß auch El Salvador und Guatemala befreit werden könnten. Deshalb setzte sich Christian Ströbele mit Klaus Dieter Tangermann dafür ein, daß die TAZ eine Kampagne für „Waffen für El Salvador“ ausrief, die zu einer der erfolgreichsten Spendenkampagnen in der BRD werden sollte und bis zu ihrem Ende im Jahre 1992 mehr als 4,7 Millionen DM einbrachte.

Ich erinnere mich noch gut daran, welch kontroverse Diskussionen wir über diese Kampagne auf Bundestreffen geführt haben, speziell über ihre Verbindung zur Kampagne für Arbeitsbrigaden nach Nicaragua. Christian Ströbele war einige Male bei den Geldübergaben dabei, die immer konspirativ in Managua erfolgten und nicht unkompliziert waren, da die salvadorianische Guerilla in verschiedene Organisationen gespalten war. So war es 1983 ein Schock für die Solidaritätsbewegung, als die Kommandantin Ana Maria wegen interner Machtkämpfe in der Befreiungsbewegung FMLN im Exil in Managua umgebracht wurde. Die Hintergründe blieben im Dunkeln, der vermutliche Auftraggeber beging kurz darauf Selbstmord und Polizei und Staatsanwaltschaft in Nicaragua scheinen wenig Interesse an der Aufklärung gehabt zu haben.

Für Christian Ströbele war das kein Grund, sich mit den Folgen von Gewalt zu beschäftigen, die dieser Krieg hervorbrachte, für ihn zählte vor allem die Symbolik in der BRD. Hier polarisierte die Kampagne, da sie ausdrücklich zum bewaffnetenWiderstand gegen die von der us-amerikanischen Reagan Administration unterstützen reaktionären Kräfte in Mittelamerika aufrief. Im Rückblick gesehen, sagte Christian Ströbele später, wurden die Gelder wahrscheinlich gar nicht alle für Waffen gebraucht, aber die Kampagne verteidigte ebenso wie die Kampagne für Arbeitsbrigaden nach Nicaragua ab dem Jahr 1983 das Recht der Völker dort auf eine Revolution und eine eigenständige Entwicklung selbst im Hinterhof der USA.

In diesem Sinne war Christian Ströbele bereits 1982 bei der Alternativen Liste in Berlin dafür eingetreten, trotz Verbots gemeinsam mit den Autonomen gegen den Besuch von Ronald Reagan in Berlin zu demonstrieren, was letztendlich zur Einkesselung von 4000 Demonstranten durch die Polizei und einer größeren Strassenschlacht führte. In einem TAZ Kommentar hatte er zuvor geschrieben:„ Die Völker von El Salvador, Guatemala, Nicaragua, Kuba und Palästina werden es uns nicht verzeihen, wenn wir versäumen, dem Präsidenten von Angesicht zu Angesicht zu sagen und ihn spüren zu lassen, was sie von seiner Friedenspolitik in Mittelamerika halten, von seinen Flugzeugen, Bomben, Militärberatern und Folterspezialisten.“ Immer ist er gegen imperiale Politik eingetreten und hat sich auf die Seite der Unterdrückten gestellt.

So fuhr er mit seiner Frau Juliane Ströbele-Gregor 1981 nach Guatemala, um sich über den dortigen Widerstand zu informieren, war mehrere Male in Managua zu Treffen mit der salvadorianischen Guerilla und reiste 1985 mit Gaby Gottwald, der Abgeordneten aus der Solidaritätsbewegung nach Mittelamerika. Beide waren damals für die Grünen im Bundestag, die zu Anfang den Bewegungen, aus denen die Partei entstanden war, noch große Mitsprache bei der Gestaltung der Listen gab und sogar in der grünen Auslandsstiftung ein eigenes Gremium für die Mitsprache der Internationalismusgruppen hatte. Christian Ströbele kam als Nachrücker 1985 in den Bundestag und brachte von Anfang an die Protestkultur ins Parlament, z.B. mit seinen Zwischenrufen gegen die Erklärung von Helmut Kohl zur Einladung von Ronald Reagan nach Bitburg 1985.

Gedenktafel Namibia

1999 war er als Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit erneut mit anderen Parlamentarier*innen in Nicaragua, um Wiederaufbauprojekte zu besuchen, die von der Bundesregierung nach dem verheerenden Wirbelsturm Mitch im Jahre 1998 mitfinanziert worden waren. Dabei besuchte die Gruppe auch ein Projekt von Medico International in der Gemeinde El Tanque, die nach einem gewaltigen Erdrutsch, bei dem viele Menschen getötet worden waren und das ganze Dorf unter einer riesigen Schlammlawine begraben worden war, neu aufgebaut werden mußte. Dafür hatten die Menschen ein ungenutztes Stück Land besetzt, doch der ehemalige Besitzer verlangte die Ländereien zurück und auch die korrupte Regierung von Arnoldo Alemán hatte ihre Hände im Spiel. Erst nach öffentlichem Druck der Delegation konnte  der Besitztitel für die Gemeinde garantiert werden.

Das letzte Mal hatte ich mit Christian Ströbele Kontakt, als wir zum 19.Juli 2018 eine Erklärung zur brutalen Niederschlagung der Protestbewegung vom April 2018 veröffentlichen wollten und dafür Unterzeichner*innen suchten. Er und seine Frau unterschrieben sofort. Die Erklärung wurde in Confidencial veröffentlich und die Taz berichtete in einem Artikel. Einige Wochen später wurde er in der „Zeit“ nach seinen Einschätzungen zu Nicaragua befragt und berichtet dort davon, wie er bei dem Besuch 1999 Ortega kennenlernte, der schon bald danach mit dem Pakt mit Alemán wichtige Prinzipien des Sandinismus über Bord warf, um wieder an die Macht zu kommen. Gleichzeitig verteidigt er in diesem Interview das Recht auf Widerstand, Protest und Revolution, auch wenn eben nicht garantiert werden kann, daß es nicht erneut zu Ungerechtigkeiten kommt.

Wir werden seine Freundlichkeit, seine Widerständigkeit, seine Hartnäckigkeit und seinen rebellischen Geist vermissen.

Barbara Lucas