Im Fairen Handel der Zukunft geht es nicht nur um bessere, höhere, fairere Preise für die Produkte der Produzent*innen im globalen Süden, sondern auch um die Herbeiführung einer Veränderung des ganzen Wirtschaftssystems. Auf der Veranstaltung am 29.9.22, in den Räumen von el rojito e.V. diskutierten wir mit gut 30 Teilnehmenden, welche Rolle darin die Strukturen und Eigentumsverhältnisse von Fairhandelsbetrieben spielen. Wie kann solidarisches Eigentum aussehen und wie viel kapitalistischer Marktlogik ist der Faire Handel unterworfen um überhaupt handeln zu können.
Zum Start der von Sarah Nüdling, dock europe e.v. moderierten Fishbowl-Diskussion erläuterte Konstantin Ott, dass el rojito e.V. nach 35 Jahren Vereinsarbeit neue Wege gehen und die Mitarbeitenden und das Infobüro Nicaragua e.V. als Teil der Solidaritätsbewegung mit ins Boot einer gemeinsamen GmbH holen. Basis ist ein Gesellschaftervertrag, der auf festgelegten Leitlinien basiert. Verbessert werden soll durch die breitere Trägerstruktur die Verteilung von Verantwortung, denn -so Konstantin „wir werden immer älter und weniger“ und können einen expandierenden Laden gar nicht mehr adäquat überblicken. Zudem werden mehr Beteiligungsmöglichkeiten für die Mitarbeitenden ermöglicht und die neue Struktur ist offen für weitere Initiativen entlang der Lieferkette, wie z.B. Weltläden oder auch die Produzent*innen, die Anteile an der Gesellschaft übernehmen können. Damit gehört el rojito allen, die sich aktiv und konstruktiv an gerechten Welthandelsstrukturen und menschenwürdigen Arbeitsbedingungen beteiligen wollen.
Wie Hagar Groeteke berichtete, besteht die Herausforderung im neugegründeten Mitarbeitendenverein besonders darin Mitarbeitende für Beteiligungsmöglichkeiten zu interessieren, und das fängt damit an sich mit Mitarbeitenden aus anderen Betriebsteilen Cafe, Verwaltung, Lager auszutauschen. Der Mitarbeitendenverein el rojito ist von Arbeiter*innen der Firma gegründet worden, um allen Kolleg*innen zu ermöglichen, sich als Miteigner an der neu gegründeten el rojito GmbH finanziell und strukturell zu beteiligen. Der Mitarbeitendenverein wird neben seiner Stimmberechtigung bei der Gesellschafterversammlung ein Mitglied des Aufsichtsrats stellen und damit die politische, inhaltliche und betriebswirtschaftliche Ausrichtung der GmbH gemeinsam mit den beiden anderen Eignervereinen beaufsichtigen und gestalten. Alle Mitarbeitenden von el rojito dürfen -müssen aber nicht- Mitglied des Vereins werden. So kann jede Angestellte und jeder Angestellte bei el rojito Mittbesitzer*in des Betriebes werden, in dem und für den die Arbeit erbracht wird. So sind Teile der Belegschaft nun nicht nur Miteigentümer*innen ihres eigenen Betriebes, sondern haben auch tatkräftig an den Leitlinien, der inhaltlichen und politischen Ausrichtung der neu gegründeten GmbH und ihrer Strukturen mitgearbeitet.
„Was zusammengehört muss wieder zusammen kommen!“, darin sieht Karsten Hackländer die Motivation vom Informationsbüro Nicaragua e.V. aus Wuppertal als Teil der Solidaritätsbewegung, Mitgesellschafter bei rojito zu werden. Wir kennen uns seit 35 Jahren und unterstützen uns wechselseitig. el rojito ist aus der Solidaritätsbewegung mit der nicaraguanischen Revolution hervorgegangen und betreibt solidarischen Kaffeehandel mit Produzent*innen, darunter auch Kooperativen in Nicaragua. Das Infobüro Nicaragua begleitet emanzipatorische Bewegungen durch Informationsarbeit, Austausch und politisch-materielle Solidarität und betreibt machtkritische Bildungsarbeit zur Veränderung der Globalen Nord-Süd-Verhältnisse. Durch die gemeinsame neue Struktur können Öffentlichkeitsarbeit und wirtschaftliches Handeln für gerechtere Süd-Nord-Beziehungen zusammengebracht werden. Mitarbeitende, Verein und Strukturen der Solidaritätsbewegung schließen sich zusammen, um Handels- und Handlungsoptionen jenseits kapitalistischer Strukturen aufzubauen und sich für ein besseres Wirtschaftssystem einzusetzen.
Im zweiten Teil der Veranstaltung lenkte die Moderatorin auf die aktuelle große Herausforderung einer gesamtgesellschaftlichen Transformation hin zu sozialer und ökologischer Gerechtigkeit. Ein Teilnehmer -Hamburger Aktivist- versuchte die Herausforderungen für eine Transformation in vier Ebenen zu systematisieren:
a) Alternativen leben (el Rojito), b) Bildung und Aufklärung (bes. Wirtschaftsbildung), c) Protest und Widerstand und d) Politische Mehrheiten erringen.
Welche Rolle spielt der Faire Handel in dieser Transformation? Konstantin Ott betonte die Begrenztheit des Handelsmodells. Der Preisunterschied sei nur gering, die Abhängigkeiten in der Lieferkette blieben bestehen und das Modell begrenzt auf einen kleinen Prozentsatz. El rojito nennt ihr eigenes Handelsmodell denn auch eher „Solidarischen Handel“. Auch Karsten Hackländer betonte die Einbettung des Fairen Handels in das kapitalistische Wirtschaftssystem, aus dessen Ausbeutungsverhältnis schließlich die Erlöse resultierten, mit dem der „FairHandels“-Aufpreis finanziert würde und möchte nur von einem faireren Handel sprechen.
Bei der Frage wie der Faire Handel weiterentwickelt werden müsste, um an dieser Transformation mitzuwirken sah Klaus Heß große Bedeutung im Austausch mit Menschen im Globalen Süden, um Lebenslagen, Interessen aber auch Organisationsformen kennenzulernen und auszutauschen, hier bietet der Austausch zwischen Produzent*innen und Konsument*innen große Möglichkeiten: Besuchsreisen bei den Kaffeekooperativen, Bildungsveranstaltungen, Süd-Nord-Programme, Praktika, Infos auf Kaffeetüten, Rundschreiben und Homepage, Gespräche mit Kund*innen… Hier kann das Informationsbüro Nicaragua sicher einiges einbringen. Will der „Faire Handel“ wirklich für mehr Gerechtigkeit sorgen, in der notwendigen ökosozialen Transformation, muss er allerdings über seine strukturelle Begrenztheit hinaus gehen, sich beteiligen bei Kämpfen für ein gerechteres Weltwirtschaftssystems, bei Kampagnen für ein europaweites Lieferkettengesetz und für weltweite Klima- und Handelsgerechtigkeit.
Mit dem Veranstaltungstitel als Abschlussfrage schloss sich der Kreis: Wie können andere Eigentumsverhältnisse etwas an der kapitalistischen Marklogik ändern? Und was bedeutet eine mögliche Umstrukturierung der Eigentumsverhältnisse bei el rojito für die Trägergruppen und weitere Stakeholder? Klaus Heß sah hier Analogien zwischen der Eigentumsfrage in unserem Gesellschaftssystem und bei el rojito. So wie erst durch eine Enteignung oder Vergesellschaftung privatwirtschaftlicher Unternehmungen wie Deutsche Wohnen oder RWE Wachstumszwang, Wettbewerb und Profitorientierung beendet werden können, so versucht el rojito für sich selbst eine Struktur zu schaffen, die sich Privatisierungs-, Wettbewerb und Renditedruck entzieht. Das Projekt zeigt ganz praktisch: Gemeineigentum ist viel besser als Privateigentum. Denn die Motivation liegt nicht in der Anhäufung von privatem Vermögen, sondern in der Steigerung des Gemeinwohls – sowohl in den Anbauländern als auch hier, wo der Kaffee getrunken wird. Der aktuell vorherrschenden Ideologie, dass nur Privateigentum und Wettbewerb langfristige wirtschaftliche Effektivität und Stabilität ermöglichen, setzen wir ein neues Modell entgegen. Die zivilgesellschaftlichen Eigner*innenvereine stehen prinzipiell für interessierte Menschen offen.
Genau so spannend wie die Veranstaltung waren für die Besucher des Wuppertaler Informationsbüro Nicaragua denn auch die Führungen durch die verschiedenen Betriebsteile und die vielen Gespräche mit den Mitarbeitenden von el rojito am nächsten Tag, woraus einige Verabredungen für die Zukunft entstanden.