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Neue Wohlstandsmodelle in der Transformation

Aktueller Stand unserer Bildungs- und Vernetzungsarbeit

Mit unserer Bildungs- und Vernetzungsarbeit wollen wir die Beziehungen zwischen Globalem Norden und Süden verändern, die von kolonialen Kontinuitäten und kapitalistischer Ausbeutung geprägt sind, zu einem Bewusstsein für die Verantwortung des Globalen Nordens  beitragen, sowie Teil einer Bewegung für globale Gerechtigkeit und ökosoziale Transformation sein (aus unserem Leitbild). Dabei war die Nicaragua-Solidarität schon immer sowohl Ausdruck als auch Motor für ein globales Bewusstsein in Teilen der deutschen Gesellschaft[1]. Sie bot eine Projektionsfläche für gesellschaftliche Utopien, ein Lernfeld für den gesellschaftlichen Umgestaltungsprozess sowie einen Austausch von emanzipatorischen Bewegungen, wenngleich die „Revolution an der Regierung“ scheiterte.

Im letzten Jahr haben wir in mehreren Veranstaltungen mit Partner*innen aus Lateinamerika Strategien gegen den neuen grünen Rohstoffkolonialismus diskutiert. Als Kritik des Globalen Süden am Vorgehen des Nordens, der seinen ökologischen Umbau auf dem Rücken von Menschen und Natur in Lateinamerika austragen will, steht das “Manifest der Völker des Südens – Für eine ökosoziale Energiewende” im Zentrum: ein Appell an Regierungen, Institutionen und die Zivilgesellschaft mit den Forderungen: Energiedemokratie, strategische Allianzen zur Ablehnung „falscher“ Lösungen, Begleichung der ökologischen Schuld, Stopp des Extraktivismus, Verhinderung weiterer Landnahme im Süden für den Bedarf des Nordens, Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen, Beseitigung der Energiearmut durch dezentralisierte Projekte im Gemeinschaftseigentum, keine Handelsabkommen zur Förderung fossiler Energien und der Verstärkung eines neuen Kolonialismus. Das Manifest könnte Grundlage sein zur Gestaltung der globalen Beziehungen in der Frage der Energie-, Verkehrs- und Rohstoffwende. 

In unseren kommunalen Aktivitäten stellen wir die vorherrschenden Wohlstandsmodelle auf den Prüfstand. Zusammen mit der Zivilgesellschaft konfrontieren wir die Kommunalpolitik mit neuen Leitbildern. Dem individuellen Luxus ist ein kollektiver Wohlstand, ein „öffentlicher Luxus“, entgegen zu setzen, so der Befund bei unseren Veranstaltungen zu „neuen Wohlstandsmodellen für die Transformation“. Für eine klima- und ressourcengerechte Gesellschaft spielt der notwendige Umbau der kommunalen Infrastruktur eine entscheidende Rolle, um die gesellschaftliche Teilhabe auch für weniger begüterte Menschen sicherzustellen. Ihre Regulation muss ressourcenschonende Nutzungen priorisieren und verbrauchsintensive Nutzungen erschweren. Dies war der Schwerpunkt einer Podiumsdiskussion am 9. August mit den Kommunalpolitikern aus Ratsfraktionen und Stadtverwaltung, die mit Forderungen und Vorstellungen aus der aktiven Zivilgesellschaft konfrontiert wurden, Als öffentliche Infrastruktur müssen die lebensnotwendigen Bereiche, Energieversorgung, Mobilität, Wohnraum, Bildung, Gesundheit, Pflege, allen Menschen so zugänglich sein wie sie für ein gutes Leben notwendig sind. Gemeinsam mit zahlreichen anderen Gruppen sind wir beim Tag des Guten Lebens am 4. Juni in Wuppertal mit einem Gemeinschaftsstand von Aktionsgruppen zum Thema „Neue Ökonomie“ mit Ausstellungen, einem Aktionstheater „Menschenrechte bei der Handyproduktion“ und einem Kaffeeausschank aus dem Solidarischen Kaffeehandel (rojito) in viele spannende Gespräche zur Zukunft unserer Ökonomie gekommen. Antwort auf die Frage: Wie ist ein gutes Leben für alle Menschen möglich, bei dem das Klima, die Ressourcen und die Artenvielfalt erhalten bleiben? gab eine Veranstaltung am 9. Juli, in der Eckpunkte für eine sozialökologische Steuerreform diskutiert wurden. Mit Umverteilung statt Verzicht können alle Menschen im „Luxus“ leben. Wenn der gesellschaftliche Überschuss abgeschöpft wird, kann das Öffentliche priorisiert werden. Allerdings muss Daseinsvorsorge vergesellschaftet werden, wie für die Energieversorgung (auf einer Veranstaltung im Vorjahr mit der Initiative „RWE und Co enteignen“) und für die Wohnungswirtschaft gezeigt wurde. Verteilung, Bewirtschaftung und Erneuerung des Wohnungsbestandes müssen strikt am Gemeinwohl ausgerichtet werden. Da die Anbieterstruktur einseitig renditeorientiert ist, muss ein reguliertes gemein-wirtschaftliches Segment der sozialen und möglichst klimaneutralen Wohnungsversorgung über ein Sondervermögen geschaffen werden. Die Gesetzgeber können entscheiden, Grund und Boden sowie die Produktionsmittel der Immobilienfinanzindustrie in das Gemeineigentum oder eine andere Form der Gemeinwirtschaft zu überführen. Bauen allein wird den Mangel an bezahlbaren Wohnungen nicht beheben und führt zu unerträglichem Umweltverbrauch. Für die sozialökologische Transformation bietet die Angebotspolitik nur ein begrenztes Lösungspotenzial. Die gilt sowohl für die Elektromobilität, die Energieversorgung, den Wohnungsbau oder auch sinngemäß bei der Steuerpolitik: Immer muss auch der Ressourcenverbrauch insgesamt eingeschränkt werden, was nur durch Verteilungsgerechtigkeit und radikale Verbrauchseinschränkungen bei den Reichen möglich ist. Dabei muss der Staat gegenüber den Marktkräften eine aktivere Rolle einnehmen, indem aktiv Rahmenbedingungen, Produktionsstrukturen und soziale Infrastruktur reguliert werden. Die Eigentumsfrage spielt eine entscheidende Rolle: Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten, sowohl wegen ihres Ressourcenverbrauchs, als auch wegen ihrer zur Finanzierung einer Klimapolitik nötigen Vermögen. Da Konzerne wie in der Wohnungs- und Energiewirtschaft Vonovia und RWE wegen ihrer Renditefixierung einer sozial gerechten und ökologischen Transformation im Wege stehen sind, sind die Forderungen nach Enteignung und Vergesellschaftung zu unterstützen. Dass sich unser Wirtschaftssystem unserem Verstehen entzieht und oft nicht viel mehr als ein vages Gefühl hinterlässt, dass irgendetwas schiefläuft, war das Thema einer Film- und Diskussionsveranstaltung am 05.09. Der Film legte die Spielregeln unseres Finanzsystems offen und macht sichtbar, dass die Wirtschaft nur dann wächst, dass Gewinne nur dann möglich sind, wenn wir uns verschulden. Anhand von eindrücklichen Beispielen aus Südamerika werden die negativen Auswirkungen unser Wirtschaftssystem auf das Leben von Menschen und der Umwelt deutlich. Zwar ist das EU-Lieferkettengesetz, welches gerade verhandelt wird, ein erster guter Schritt zur Wirtschaftsregulation ist, für einen wirklichen Schutz von Menschen- und Umweltrechten ist weltweit jedoch ein anderes Wirtschaftssystem notwendig.

Es ist auch für 2024 wieder ein Bildungs- und Vernetzungsprojekt geplant.


[1] Heß/Baltodano: Erfahrungen der deutschen Nicaragua-Solidaritätsbewegung; in PROKLA 213 (Dezember 2023), 707-716