Menü Schließen

Bruno Kern: „Das Märchen vom grünen Wachstum“

Zusammenfassende Erörterung (Buchrezension)

„Eine nachhaltige, die elementaren Lebensgrundlagen sichernde Wirtschaft darf nicht nur nicht wachsen, sie muss schrumpfen mit dem Ziel, ein verträgliches Niveau des steady-state, das heißt eines stationären Gleichgewichts, zu erreichen. Natürlich ist dies mit der dem Kapitalismus eingeschriebenen Wachstumslogik nicht mehr zu vereinbaren. Die erforderliche ökonomische Abrüstung kann nur in bewusster Planung erfolgen.“ (ebenda S.115)

 Wer aufgrund des Titel eine ideologiekritische Abrechnung mit der Erzählung und den Apologeten des „grünen Wachstums“ erwartet hat, wird zwar enttäuscht, aber dafür liefert Kern eine facettenreiche Analyse der systemsprengenden Wirkung der ökologischen Krise und entwirft die Vorstellung einer solidarischen und nachhaltigen Postwachstumsgesellschaft. Die existenzbedrohende Biosphärenkrise bremst die Wachstumsdynamik und zerstört damit langfristig den Motor der kapitalistischen Ökonomie. Effizienzrevolution, Erschließung und Ausbau erneuerbarer Energien und eine Recyclingwirtschaft können diesen Prozess nicht wirklich aufhalten. Kern untersucht in seinem Buch auch system- und marktkonforme Versuche, Ideen und Instrumente wie Ökosteuern und Zertifikatehandel, die eine Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft und Dekarbonisierung versprechen. Dabei stellt er ihre Begrenztheit und z.T. krisenverschärfende Wirkung fest. Eigentlicher Motor der ökologischen Zerstörung ist der kapitalistische Wachstumszwang. Kern kritisiert Öko- Keynesianische Reformansätze ebenso wie die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen als Konzepte, die das herrschende kapitalistische Paradigma vom unbegrenzten ökonomischen Wachstum in einer „Überflussgesellschaft“ bestätigen und fortschreiben. Unter der Bedingung einer Postwachstumsgesellschaft ist eher viel zu tun und weniger zu verteilen.

Kern beginnt seine Schrift mit einem klaren Plädoyer für eine sozialistische Alternative. Er fordert ganz im Sinne von Marx die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und ihre planwirtschaftliche Organisation, diesmal als notwendige Antwort auf die globale ökologische Krise, die anders als bisherige Krisen die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit insgesamt aufs Spiel setzt. Der Kapitalismus mit seiner chaotischen von Konkurrenz um Profitmaximierung getriebenen Wachstumsmanie muss s.E. abgewickelt werden, wenn die ökologische Katastrophe abgewendet bzw. der Zerstörungsprozess gebremst werden soll. Objektiv behindern die zunehmende Ressourcenverknappung und das Auslaufen der fossilen Energiequellen den entgrenzten und beschleunigten Verwertungsprozess selbst, und es kommt zwangsläufig zu einer ökonomischen Wachstumskrise und Kapitalvernichtung. Versuche, diese aufzuhalten oder zu kompensieren durch technologische Innovationen zur Effizienzsteigerung, die Erschließung und den Ausbau von erneuerbaren Energien wie auch zunehmendes Recycling und Kreislaufwirtschaft sind nach Kern in der Gesamttendenz nicht in der Lage eine globale Rezession aufzuhalten. Die sich aufdrängende Konsequenz ist ein Öko-Sozialismus, der durch eine vernünftige planwirtschaftliche Steuerung eine  ökologisch und ökonomisch im Gleichgewicht stabilisierte „steady – state“ Wirtschaft organisiert.

Im Gegensatz zu Marx, der im Sozialismus eine Möglichkeit der vollen Entfaltung der Produktivkräfte zur fortschreitenden Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Steigerung des allgemeinen Wohlstands sieht, hat für Kern der Öko-Sozialismus eine quasi gegenläufige Funktion. Er soll die industrielle Produktion zurückfahren und schrumpfen (industrielle Abrüstung), um die Zerstörung der Ökosphäre zu verhindern und verlangt eine Begrenzung von Energie- und Ressourceneinsatz und die schrittweise Rücknahme der Arbeitsteilung. Betroffen davon ist nicht nur die Produktion von Luxusgütern und Destruktionsmittel (Kriegswaffen), sondern der Scheinwohlstand des gegenwärtigen Massenkonsums in den entwickelten Industriestaaten.

Kern beschreibt die gegenwärtige Krise als „Zangengriffkrise“. Einerseits schafft die zunehmende Naturzerstörung und Klimaerwärmung die Notwendigkeit den Ressourcenverbrauch und die weiteren CO² Emissionen zurückfahren, anderseits erfordert ein ökologischer und nachhaltiger Umbau den Ausbau erneuerbarer Energien, die ihrerseits einen hohen Ressourcen- und Energieinput nach sich ziehen. Dabei lassen sich die benötigten, aber zur Neige gehenden Rohstoffe nur mit immer aufwendigeren Mitteln und Kosten erschließen und fördern, was die Möglichkeit einer Wachstumsökonomie insgesamt in Frage gestellt.

Mit dem Konflikt Ukraine/Russland erleben wir die Verknappung der fossilen Ressource Erdgas und dadurch eine verstärkte Verstromung von schmutzigen Energieträgern wie Kohle, Braunkohle und Frackinggas, die die Klimakrise weiter befeuern. Möglich wäre natürlich ein Herunterfahren der Produktion und des Verbrauchs insgesamt. In diesem Zielkonflikt entscheidet Wirtschaft und Politik sich quasi natürlich für das wirtschaftliche Wachstum. Unhinterfragt lautet das Credo Ohne Wachstum kein ökologischer Umbau und Ausbau der erneuerbaren Energien.

Der Vorstellung diesem Dilemma zu entkommen, indem man eine Entkopplung von materieller Produktion und Wachstum unterstellt, widerspricht Kern eindeutig. Seine Ausführungen etwa zum Mythos der Entmaterialisierung der Produktion (Dienstleistungsgesellschaft) zeigt, dass es hierbei im Wesentlichen um Externalisierung des Naturverbrauchs geht. Ähnlich verhält es sich mit der Vorstellung einer  fortschreitenden Effizienzrevolution, die durch Rebound-Effekte und das Gesetz des abnehmenden Ertragzuwachses sich selbst wieder einholt. Bleibt die Hoffnung auf die  Unerschöpflichkeit der erneuerbaren Energiequellen. Aber auch diese Hoffnung trügt, da sowohl die Energie- und Rohstoffkosten für ihre Erschließung und Umwandlung, als auch der begrenzte Lebenszyklus der technischen Anlagen nicht in Rechnung gestellt wird. Es ist unmöglich, die industrielle Produktion auf gleichem Niveau zu halten und zugleich verstärkt die erneuerbaren Energien auszubauen, ohne den Ressourcenverbrauch weiter drastisch zu erhöhen und damit die Naturzerstörung voranzutreiben. Daraus ergibt sich, dass die Behauptung, bei geringerem Naturverbrauch das gegenwärtige Wohlstandsmodell der reichen Industriestaaten halten zu können, eine Ideologie darstellt, ganz zu schweigen von der Ausweitung dieses Modells auf die Weltgesellschaft. Von daher ist ein „weiter so“ im Sinne des kapitalistischen Wirtschaftsmodells, das aufgrund seiner konkurrenzbedingten Eigendynamik auf Wachstum programmiert ist, desaströs. Hier ist anzusetzen, wenn es um eine radikale Kritik und Chancen für einen Ausweg geht.

Wie kommen wir aber nun in eine ökosozialistische Gesellschaft? „Exit aus dem Ökozid“ überschreibt Kern seine eher skizzenhaften Überlegungen zu den notwendigen Schritten.

Veränderungen im gesellschaftlichen Bewusstsein sind: 1. Entlarvung der Ideologie der Entkopplung von Wachstum und Naturverbrauch und allen Illusionen hinsichtlich einer technischen Machbarkeit und Beherrschung der Krise, wie sie heute in vielen Köpfen auch kritischer Linken, Grünen, sog. Nachhaltigkeitsexperten und verschiedenen Umweltverbänden und NGOs herumspuken. 2. Aufklärung und Einstimmung der Menschen, dass sie sich von eingeschliffenen und weitgehend unhinterfragten Konsumgewohnheiten verabschieden müssen. 3. In dieser Debatte ist bei allen Forderungen und Entscheidungen darauf zu achten, dass soziale Ungleichheit berücksichtigt wird und im Zuge des industriellen Rückbaus soziale Gerechtigkeit gewahrt und hergestellt wird, auch hinsichtlich der globalen Ungleichheiten zwischen Nord und Süd. Soziale Ausschlüsse, rassistische Ausgrenzung und die Entstehung von Feindbildern müssen verhindert werden.

Für die praktische Umkehr der Wachstumslogik schlägt Kern in erster Linie ordnungspolitische Maßnahmen vor wie:

– Streichung ökologisch schädlicher Subventionen vor allem in Mobilität / Verkehr und Landwirtschaft

– Sofortiger Ausstieg aus Kohleverstromung und Absenkung des absoluten Energie-/Stromverbrauchs

– Stilllegung von Reservekraftwerken

– Vergesellschaftung der Energieversorgungswirtschaft

– Verbot von Fracking und aller weiteren Exploration fossiler Energielager

– Sofortige Beendigung der Rüstungsproduktion

– Verbot energieintensiver überflüssiger Produktion

– Verbot überflüssiger Verpackungen

– Haltbarkeit, Langlebigkeit technischer Konsumgüter durchsetzen

– radikale Verkehrswende: Kurzstreckenflüge verbieten, Fernflüge kontingentieren, automobilen Individualverkehr beenden

– Rückbau der Agrarindustrie zu einer nachhaltigen bäuerlichen Landwirtschaft

Wichtige Bedingung ist dabei auch ein Umbau des Finanzsektors. Hier fordert Kern u.a.:

– Zerschlagung von Großbanken

– Erhöhung der Mindestreserven

– Eindämmung aller spekulativer Geschäfte

– Schaffung einer effektiven Finanztransaktionssteuer

– Rasche Rückführung der öffentlichen Verschuldung durch konsequente Abschöpfung des privaten Reichtums

-Vollgeldsystem – Geldschöpfung als alleiniges staatliches Hoheitsrecht

Wenn es darum geht, wie dieses anspruchsvolle und sicher massive gesellschaftliche Widerstände und Konflikte erzeugende Programm umgesetzt werden kann, bleibt Kern verständlicherweise recht vage. Einerseits betont er, wie wichtig soziale Experimentierfelder wie basisdemokratische Organisationsstrukturen und Initiativen einer solidarischen Ökonomie, Subsistenz und Eigenökonomie für die Initiierung der gesellschaftlichen Transformation und vor allem für ihre demokratische Kontrolle sind, andererseits sieht er aber, dass es bei dem planwirtschaftlichen Umbau der Industrie und komplexer gesellschaftlicher Strukturen einer handlungsfähigen staatlichen Instanz bedarf. Er spricht in diesem Zusammenhang kurz auch die Rolle der Gewerkschaften an, die in ihrer Tarifpolitik die Kopplung von Lohnentwicklung und Arbeitsproduktivität aufheben müssen. Als weiterer Akteur wird auch die Klimabewegung genannt. Aber ausdrücklich betont Kern, dass es in der Phase der Schrumpfung eines starken Staates bedarf, der bezüglich der Kontrolle der Makroökonomie und der großen Industrien durchsetzungsfähig ist und die rechtlichen Rahmenbedingungen setzten kann.

Dass er sich mit dieser Hervorhebung der Rolle des Staates auf schwieriges Terrain begibt, ist Kern wohl bewusst, allein er sieht hier keine Alternative. Welchen Staat sich Kern dabei vorstellt, bleibt im Dunklen. Er fordert ja den weitgehenden Ausstieg aus dem Welthandel und eine Deglobalisierung der Ökonomie, wie auch einen Rückzug aus internationalen Organisationen und Vereinigungen. Wenn aber schlussendlich die bestehenden Nationalstaaten jeweils die ökosozialistische Wende bringen sollen, bleiben neben vielen Fragezeichen die Sorgen um neue chauvinistische Abgrenzungen und die Gefahr der Ausblendung der globalen Krise, die besonders in den industriell unterentwickelten Ländern des Südens die bereits bestehende Ungleichheit und das Elend fortschreiben und vorantreiben wird. Es gibt m.E. keine Lösungen auf nationalstaatlicher Ebene.

Trotz dieser kritischen Anmerkung bleibt Kerns „Märchen vom grünen Wachstum“ ein wichtiges Buch, nicht zuletzt darum, weil es auffordert Klartext zu reden hinsichtlich notwendiger realer Einschränkungen unserer eingeschliffenen Konsumstile und einer im Weltmaßstab parasitären Lebensweise. Wichtig ist dies Buch besonders, weil es die Forderung nach Konsumverzicht oder -verweigerung nicht moralisch begründet sondern als Unausweichlichkeit der begrenzten Naturbasis unserer Produktion ableitet. Der Umbau der kapitalistischen Wirtschaft zu einer sozial gerechten und ökologisch nachhaltigen Ökonomie ist ohne Abstriche an unserem derzeitigen Wohlstandsmodell nicht zu haben.  Wenn wir uns das aktiv gegenseitig bewusst machen, können wir bereits hier und jetzt damit beginnen, uns durch gezielte Konsumverweigerung etwa bei Fleisch, Fliegen, Auto, Textilien und Mode dem zerstörerischen Wachstumsprozess zu widersetzen. Das wird den Kapitalismus nicht zu Fall bringen, aber es ermöglicht uns, eine Realität im Voraus aktiv anzueignen, die die Krise uns notwendig aufzwingen wird. Aktiver Konsumverzicht und Konsumkritik ist zugleich ein Eintreten für gerechte Lebensverhältnisse weltweit, auch wenn die Apologeten des „weiter so“ meinen, dass ordnungspolitische Maßnahmen und Verbote individuelle Freiheitsrechte verletzten (siehe Debatte um ein Böllerverbot) und mit Argumenten aus der psychologischen Mottenkiste behaupten, dass sich Menschen nicht mit Einschränkungen und Verzicht, sondern ausschließlich über Prämien und Belohnungssysteme (möglichst warenförmige)  motivieren lassen. Es gilt, sich für Einschränkungen bewusst zu entscheiden und damit nicht nur das Gewissen beruhigen zu wollen.

So beschließt Kern sein Buch mit sechs Thesen zu „Konsumverweigerung als politische Strategie“.