„Gewalt gegen Frauen als systematisches Element zur Aufrechterhaltung der Macht“
Kurzer Bericht über die Online-Veranstaltung am 4. Mai 2025 mit der französischen Soziologin Delphine Lacombe
Am Sonntag kamen insgesamt 45 Frauen aus verschiedenen Kontexten zusammen, darunter Exilantinnen aus Nicaragua und Vertreterinnen der Solidaritätsbewegung aus Ländern wie Frankreich, Deutschland, Spanien und den Vereinigten Staaten, um mit der Autorin des Buches „Gewalt gegen Frauen, von der Revolution bis zu den Machtpakten, 1979 bis 2008“ über die Ergebnisse ihrer historischen Doktorarbeit zu diesem Thema zu diskutieren.


Die grundlegenden Hypothesen von Lacombes Arbeit lassen sich wie folgt zusammenfassen:
– Zwischen 1979 und 2008 bildete sich in Nicaragua eine solide Basis von Frauenorganisationen, die feministische Forderungen formulierten und diese in öffentliche Debatten einbrachten.
– Diese Forderungen wurden im Allgemeinen von den verschiedenen Regimes/Regierungen (ob sandinistisch oder liberal) bekämpft und oft nur begrenzt oder widerwillig umgesetzt.
– Gewalt gegen Frauen ist ein konstantes Element zur Aufrechterhaltung der Macht in den patriarchalischen Herrschaftssystemen von Regierungen aller politischen Couleur.
Delphine betont in ihrer Einleitung, dass sie durch ihre Arbeit viel darüber gelernt habe, wie Frauen, insbesondere aus der Generation der 80er und 90er Jahre, im Rahmen ihrer Arbeit mit Opfern häuslicher Gewalt feministisch politisiert wurden und nach und nach wichtige Forderungen zur Umsetzung von Gleichberechtigung und Menschenrechten an die Entscheidungsträger formulierten und weitergaben.
Ihre historische Doktorarbeit vereint erstmals verschiedene Dokumente aus dieser Zeit und Aussagen von Zeitzeuginnen, und Lacombe konnte hier wichtige neue Erkenntnisse über die Wendepunkte, Ereignisse und Positionen der Frauenbewegung in Nicaragua entwickeln.
Ein Vorteil dieser Veranstaltung auf ZOOM waren die Kommentare und ergänzenden Fragen der teilnehmenden Frauen, die größtenteils Zeitzeuginnen waren und so die vorgestellten Forschungsergebnisse bereicherten.
Anschließend wurden Fragen wie z.B. zum Bild der Frau in der sandinistischen Ideologie der 1980er Jahre behandelt. Diese unterschied sich von der somozistischen Version der Hausfrau und feierte auch die „kämpfende Frau“, die mutigen Kämpferinnen in der Guerilla, die aber auch die Erzieherin des revolutionären Ideals sein musste, die alles für den Befreiungskampf gab oder beide Rollen parallel ausübte. Feministische Forderungen, wie die strategischen und praktischen Bedürfnisse der Frauen und ihre Rechte, waren, wie in den anderen sozialistischen Ländern dieser Zeit, ein „sekundärer Widerspruch“.

Dennoch ermöglichten die 1980er Jahre organisierten und emanzipierten Frauen, sich erstmals mit dem Thema häusliche Gewalt auseinanderzusetzen, beispielsweise in AMPRONAC oder in der Rechtsberatungsstelle für Frauen. 1986 entstanden wichtige Dokumentationen über den Umgang mit Gewaltfällen in Justiz und Gesellschaft sowie erste Vorschläge für Gesetzesänderungen. Der Kampf gegen Gewalt gegen Frauen wurde zum ersten Mal politisiert!
Die Debatte über die neue Verfassung, die in den Massenorganisationen breit geführt wurde, schuf die Möglichkeit, die Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen in Haushalt und Erziehung sowie die Rechte von Frauen in Fällen von Gewalt anzusprechen.
Im Kontext der zweiten Welle des Feminismus auf globaler Ebene wurde auch in Nicaragua in Artikel 76 der Verfassung das Recht der Frauen auf körperliche, geistige und soziale Unversehrtheit verankert. Nach und nach setzte sich in der öffentlichen Debatte die Idee durch, dass auch das Private politisch ist. Dass Männer in ihrer Ehe nicht tun können, was sie wollen. Die 1980er Jahre boten Raum für die Forderungen der Frauen nach Gleichberechtigung.
So beobachtete eine der Teilnehmerinnen, dass die Landarbeiterinnen vehement forderten, dass ihre Namen auch auf den Lohnlisten erscheinen sollten. Das war bis dahin nicht üblich.
Die ersten Spaltungen mit der vom FSLN geführten Organisation AMNLAE wurden um 1990 sichtbar. Dieser Bruch mit der Sandinistischen Front kam in den 90er Jahren während des ersten zentralamerikanischen Kongresses der autonomen Frauenbewegung zum Ausdruck.
Im Kapitel über „Gewalt zwischen Krieg und Frieden“ macht Lacombe deutlich, dass Gewalt gegen Frauen und insbesondere Vergewaltigung seit jeher ein bewusstes und systematisches Instrument der Männer zur Einschüchterung von Frauen ist, sei es im Krieg oder in Friedenszeiten. Es gibt wichtige Quellen, die Vergewaltigung als Folter analysieren. Gewalt gegen Frauen ist auch eine Legitimierung des Machismo. Eine Teilnehmerin betonte, dass die Unterwerfung des weiblichen Körpers und damit die Gewalt gegen Frauen immer ein Hauptthema des feministischen Kampfes sein wird.
Als wichtige Wendepunkte in der Geschichte der Frauenbewegung in Nicaragua nennt Delphine die Anklage von Zoilamerica Narvaez gegen ihren Stiefvater Daniel Ortega wegen sexuellen Missbrauchs. Diese Anklage wegen Missbrauchs gegen einen Machthaber war symbolträchtig. Ortega begegnete ihr mit Hilfe eines Paktes mit dem politischen Gegner der liberalen Partei. Sein Missbrauch seiner Stieftochter wurde von seiner Frau Rosario Murillo, der Mutter von Zoilamerica, unterstützt, um Daniel Ortega an der Macht zu halten. Frauenorganisationen solidarisierten sich vehement mit Zoilamerica und wurden deshalb massiv von offizieller Seite verklagt und angegriffen. Aus diesem Grund waren die Frauenorganisationen wahrscheinlich die ersten NGOs, die nach 2018 vom Ortega-Murillo-Regime als repressive Maßnahme massiv aufgelöst wurden.
Der zweite Wendepunkt war die Behandlung des Falles der Vergewaltigung der 12-jährigen Rosa und ihrer anschließenden Schwangerschaft im Jahr 2003. Die Möglichkeit einer Abtreibung wurde offiziell abgelehnt. Dies löste eine öffentliche Debatte aus, in der die feministische Bewegung von Seiten der Sandinisten sowohl moralisch als auch religiös und politisch diffamiert wurde. Zu allem Überfluss wurde 2006, kurz vor den Präsidentschaftswahlen, im Rahmen des FSLN-PLC-Paktes das Recht auf therapeutische Abtreibung abgeschafft.
Delphine Lacombe
Soziologin, Forschungsbeauftragte des CNRS;
Aktuelle Mitgliedschaften
Zentrum für mexikanische und zentralamerikanische Studien (CEMCA UMIFRE16)
Unite de recherche migrations et sociétés (URMIS) (Forschungseinheit Migration und Gesellschaft)
Delphine Lacombe führt ihre Forschungen über das Geschlecht in den Formaten des Politischen in Mesoamerika auf der Grundlage einer sozio-historischen Analyse der Ausübung von geschlechtsspezifischer Gewalt und ihrer subjektiven und politischen Problematisierung durch. Während ihrer internationalen Mobilität im Rahmen der UMIFRE CEMCA hat sie ihre Untersuchungen zu den Auswirkungen der zentralamerikanischen autoritären Wendungen auf die feministischen Mobilisierungen und individuellen Wege im Exil ausgeweitet. Ebenso hat sie sich eingehend mit den Formen der kollektiven Mobilisierung von Frauen während der letzten Welle des mexikanischen Feminismus (2019-2024) befasst, insbesondere mit den Repertoires der Aktion „direkt in der Stadt“, wie Bilderstürmerei, direkte Aktion, „Alter-Monumentalismus“. Außerdem widmete sie ihre Arbeit den Verbindungen zwischen Revolutionen und Feminismus, demokratischer Erfahrung und Feminismus. Ihre Forschungen widmeten sich auch der Verbreitung von Gender als wissenschaftliche, militante und bürokratische Kategorie unter dem Einfluss der Globalisierung.

