21.8.2025 – Matthias Schindler
Seit vielen Monaten findet im Regierungsapparat Nicaraguas ein Machtkampf statt, dessen bizarre Formen immer weniger durchschaubar sind. Gleichzeitig erlebt das Land eine neue Verhaftungswelle von Menschen, die von der Diktatur Ortega-Murillo – zu Recht oder auch nur vermutet – als Oppositionelle eingestuft werden.
Dabei befindet sich das Regime in einem Zweifrontenkrieg. Einerseits versucht es, die Bevölkerung, in der die Unzufriedenheit stetig wächst, durch immer neue Repressionsmaßnahmen weiter einzuschüchtern. Andererseits geht das Diktatorenpaar gegen alle Kräfte des Partei- und Regierungsapparates vor, in denen sie eine potenzielle Gefahr für ihre eigene Machtposition sehen. Die Repression gegen die normale Bevölkerung findet ohne jegliche rechtliche Grundlage statt. Und hohe Funktionäre werden von heute auf morgen abgesetzt, enteignet, verhaftet und ins Gefängnis geworfen.
Dabei ragen in der jüngsten Vergangenheit drei Fälle besonders hervor. So wurde Bayardo Arce im Juli seines Postens als Wirtschaftsberater von Daniel Ortega enthoben, sein gesamter Privatbesitz wurde nationalisiert und er wurde unter dem Vorwurf der Korruption verhaftet. Arce war der Verbindungsmann Ortegas zum nicaraguanischen Großkapital. Gleichzeitig war Arce aber auch selbst ein kapitalistischer Großunternehmer, wobei sein Besitz das Resultat groß angelegter Korruptionsgeschäfte war, mit denen Ortega seine engsten Vertrauten seit seiner erneuten Präsidentschaft ab 2007 belohnt hatte. Außerdem war Arce einer der neun Revolutions-Kommandanten, die den Aufstand gegen die Somoza-Diktatur organisiert und die Sandinistische Revolution in den 1980-er Jahren angeführt hatten.
Álvaro Baltodano – ein historischer Kämpfer der Sandinistischen Befreiungsfront, später ein General in der nicaraguanischen Armee und seit 2007 Minister und enger Berater von Präsident Ortega – wurde im Juni von allen Positionen abgesetzt und in einem total illegalen Schnellverfahren in Form einer Videokonferenz als „Vaterlandsverräter“ zu 20 Jahren Knast verurteilt.
Schließlich widerfuhr am 14. August sogar Néstor Moncada Lau das gleiche Schicksal – eine höchst dubiose Figur, die in diverse terroristische Anschläge verwickelt war, die militärische Unterdrückung der Proteste vom April 2018 maßgeblich mitorganisiert hat, auf dem Papier als Vater mindestens eines der außerehelichen Kinder von Daniel Ortega dient, über viele Jahre hinweg als Sicherheitschef des Sekretariats der FSLN diente und als einer der engsten Vertrauten Ortegas und gleichzeitig auch als einer der besten Kenner aller Skandale innerhalb des Präsidentenhauses gilt.
Bisher sind alle wichtigen Kommentatoren davon ausgegangen, dass all diese Verfolgungsmaßnahmen von den beiden Co-Präsidenten Daniel Ortega und seiner Ehefrau Rosario Murillo gemeinsam geplant und angeordnet wurden. Jetzt weisen vertrauenswürdige Quellen jedoch darauf hin, dass zumindest im Falle von Néstor Moncada Lau die Befehle eindeutig von Murillo kamen. Daher gibt es glaubwürdige Vermutungen, dass diese Repressionsmaßnahmen vor allem darauf ausgerichtet sind, die Machtbasis Ortegas weiterhin zu schwächen und die dominierende Rolle von Murillo weiter zu stärken.
Die interne Situation Nicaraguas wird durch die gravierenden Veränderungen des internationales Umfeldes noch weiterhin verkompliziert. Tausende von Nicaraguanern werden gegenwärtig aus den USA vertrieben, wodurch die Rücküberweisungen aus den USA nach Nicaragua – einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren des Landes – deutlich zurückgehen werden. Dies wird den internen Konsum in Nicaragua ebenfalls drastisch minimieren. Weiterhin setzt die Regierung Trump ihre neue Zollpolitik dafür ein, das Regime Ortega ökonomisch abzustrafen, indem sie auf nicaraguanische Waren Importzölle in Höhe von 18 Prozent erhebt, während die übrigen mittelamerikanischen Länder lediglich mit 10 Prozent belegt wurden. Dies wird wiederum zu einem Rückgang der Exporte aus Nicaragua in die USA – dem größten Handelspartner des Landes – führen. Unter diesen Bedingungen werden auch die ausländischen Investitionen in Nicaragua zurück gehen, was wiederum die Möglichkeiten zu weiteren Kreditaufnahmen auf dem internationalen Finanzmarkt verschlechtert.
Die interne politische Krise und die Verschlechterung der internationalen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen werden daher zu einer weiteren Verschärfung der gesellschaftlichen Krise in Nicaragua führen, von der niemand weiß, in welcher Form sie sich in den nächsten Wochen und Monaten konkret ausdrücken wird. Eine neue Welle von Protesten ist ebenso möglich, wie eine erneute Welle massiver Repression. Die komplette Absetzung Ortegas wie auch eine Revolte unzufriedener mittlerer Offiziere sind ebenfalls Optionen, die nicht ausgeschlossen werden können.
Lissabon, 23. August 2025