Von Carlos F. Chamorro* La Jornada, Mexico, 16. März 2021
In den letzten Wochen haben Präsident Daniel Ortega und Vizepräsidentin Rosario Murillo den Hass in ihrem Diskurs, den sie seit mehr als einem Jahrzehnt von der Position der Macht aus gegen Bürger*innen, die einen demokratischen Wandel in Nicaragua fordern, äußern, noch verschärft. Zunehmend nutzen die Machthaber alle Medien des Landes, indem sie ein nationales Radio- und Fernsehnetz missbrauchen, um Hass, Intoleranz und Gewalt zu predigen.
Der offizielle Diskurs basiert darauf, andere als Feinde zu stigmatisieren basierend auf Lügen und Zynismus, weshalb manche Leute das, was Ortega und Murillo jeden Tag wiederholen, für irrelevant halten, weil es keine Glaubwürdigkeit hat. Die meisten Menschen schalten wahrscheinlich das offizielle Radio und Fernsehen aus und schenken der Lüge keinen Glauben; der Hassdiskurs der Machthaber ist jedoch extrem gefährlich für das nationale Zusammenleben, weil sie gegenüber ihren Anhängern die ungestrafte Ausübung von Gewalt legitimiert.
Jedes Mal, wenn Ortega und Murillo bösartige Drohungen ausstoßen, erteilen sie einer fanatischen Minderheit eine Lizenz, jeden Bürger, der Freiheit und Gerechtigkeit in Nicaragua fordert, zu beleidigen, anzugreifen, zu verfolgen, zu foltern und sogar zu töten. So geschehen am 19. Juli letzten Jahres in La Trinidad, als Jorge Luis Rugama von einem sandinistischen Fanatiker in den Kopf geschossen wurde, nur weil er ¡Viva Nicaragua libre! rief. Und als der Angreifer Abner Pineda vor Gericht gestellt wurde, führte der Richter als mildernde Umstände des Mordes an, dass der sandinistische Rathausbeamte in Estelí an einem angeblichen psychologischen Trauma infolge des Bürgerprotests gegen das Regime litt und zudem alkoholisiert war. Dieser Mord, der ungesühnt bleibt, ist Teil von Ortegas und Murillos Ernte des Hasses.
In seiner letzten Rede zum Internationalen Frauentag verhöhnte der sandinistische Caudillo, der als hartnäckiger Verletzer von Mädchen- und Frauenrechten gebrandmarkt ist, seine Opfer und forderte sogar die Ausrottung des Machismo. Ortega behauptete, dass es in Nicaragua Meinungsfreiheit gibt, obwohl seine Regierung Journalisten verfolgt, die unabhängigen Medien zensiert, die Redaktionen von Confidencial und 100% Noticias beschlagnahmt hat und sogar den patriotischen Akt, die Nationalflagge zu schwenken, kriminalisiert hat. In diesen Tagen wurde der junge Sergio Beteta vor Gericht für schuldig befunden wegen angeblicher Verbrechen des Waffen- und Drogenbesitzes, die von der Staatsanwaltschaft und der Polizei im Gefängnis konstruiert wurden, während sein Verbrechen darin bestand, die FSLN-Fahne zu verbrennen und die blau-weiße Flagge in einem einsamen Protest vor den Augen von Passanten und Journalisten zu schwenken. Und trotz der Beweise zu seinen Gunsten fordert nun ein Pro-Ortega-Richter 16 Jahre Gefängnis gegen ihn, weil er von der Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht hat.
Der Diskurs von Ortega und Murillo fördert auch den Hass und die Konfrontation zwischen Arm und Reich. Im Namen der Enteigneten und des Pöbels donnert der Comandante gegen Millionäre und Oligarchen, obwohl jeder in Nicaragua weiß, dass die Präsidentenfamilie zu den Superreichen gehört und dass ihr Kapital, außerhalb jeglicher öffentlicher Kontrolle, nicht aus irgendeinem Geschäft stammt, sondern aus dem Diebstahl an den Armen, repräsentiert durch öffentliche Korruption und die Abzweigung von mehr als 4 Milliarden Dollar aus der venezolanischen Staatskooperation für ihre privaten Geschäfte.
Um die Repression und den polizeilichen Belagerungszustand zu rechtfertigen, behauptet Ortega auch, dass ihre Regierung Opfer eines Putschversuchs geworden sei, aber keine internationale Menschenrechtskommission hat irgendwelche Beweise für die angebliche Verschwörung während der April-Proteste gefunden. Und alles, was sie dokumentiert haben, sind Behauptungen, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Tötungen, Folter und außergerichtliche Hinrichtungen, die den vom Regime angeheuerten Killern zugeschrieben werden, untersucht werden müssen.
Doch trotz der Angst, die durch Gewalt, Verfolgung, Gefängnis und Exil hervorgerufen wurde, hat die Ortega-Murillo-Diktatur in diesen fast drei Jahren der Repression und des Belagerungszustandes nie die Moral und Würde eines einzigen politischen Gefangenen brechen können, der aus dem Gefängnis heraus weiterhin einen Wandel durch freie Wahlen fordert. Es würde genügen, diese politische und moralische Niederlage des Regimes festzustellen, um zu verkünden, dass die Hassreden von Ortega und Murillo eine gescheiterte Politik darstellen. Aber das mindert nicht seine Gefahr in einer polarisierten Gesellschaft, in der die Gewalttäter immer durch die Macht der Waffen und Straffreiheit geschützt waren
Wir fordern daher die Bischöfe der Bischofskonferenz und die moralische Führung der katholischen Kirche respektvoll auf, ihre Forderung an die Machthaber zu erneuern, die gewaltfördernde Hassrede zu stoppen, bevor es weitere Opfer zu beklagen gibt. Wir appellieren an die Staatsdiener – zivile und militärische -, der Hassrede von Ortega und Murillo Einhalt zu gebieten, damit nie wieder ein Nicaraguaner ermordet wird, weil er „Es lebe das freie Nicaragua“ ruft, oder ins Gefängnis kommt, weil er die Nationalflagge schwenkt.
Wir fordern die Vorkandidaten der Opposition für die Präsidentschaft der Republik auf, sich der Kampagne der Familien der Opfer der Repression anzuschließen, um die Freiheit der politischen Gefangenen zu erreichen und Gerechtigkeit für die Ermordeten zu fordern. Wir rufen auch das Großkapital auf, die Aufhebung des Polizeistaats und eine Wahlreform zu fordern, damit die Nicaraguaner in einer freien Wahl entscheiden können, ob wir weitere fünf Jahre mit Ortegas und Murillos Hass- und Gewaltpredigten weitermachen oder den Wiederaufbau des Landes in Demokratie in Angriff nehmen wollen.
*Nicaraguanischer Journalist