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Die Diktatur weiß, dass sie gegen eine Mauer der Würde gelaufen ist, Confidencial 12.6.2021

Confidencial 12. Juni 2021

Miguel Mora an der Seite seiner Ehefrau Verónica Chávez, auf einem Foto nach der Befreiung aus dem Gefängnis im Juni 2019. // Foto: Archivo | Carlos Herrera | Confidencial

Ortega wollte sich nicht seinem schlimmsten Albtraum stellen: einer vereinigten Opposition mit starken Kandidat*innen und vollen Wahlurnen, die mit überwältigender Mehrheit gegen ihn stimmen würde.

Miguel Mora
12.Juni 2021

Ich erinnere mich deutlich daran, dass es an jenem 11. Juni 2019 gegen 3 Uhr morgens war, als der Wärter in meine Zelle kam und den Befehl gab: „Mach deine Sachen fertig, du gehst raus“. Die Freudenschreie derjenigen von uns, die an diesem Tag hinausgingen, mischten sich mit dem Schweigen und Weinen derjenigen, die in diesen Gräbern blieben, die die Diktatur Ge-fängnisse nennt. Es war ein Tag der großen Freude für Nicaragua: Hunderte der fast 1.600 politischen Gefan-genen, die monatelang, manche sogar jahrelang, den Preis für ihr Andersdenken bezahlt hat-ten, wurden freigelassen. Ich danke Gott immer dafür, dass er mir die Kraft gegeben hat, die Prüfung durchzustehen, für mein Leben, für meine Gesundheit und dafür, dass er mich aus diesem Grab herausge-holt hat, in das sie mich ein halbes Jahr lang gesteckt hatten. Zwei Jahre nach jenem denkwürdigen 11. Juni ist unser friedlicher Widerstand in vollem Gange. Ich erinnere mich, dass ich in meinem Haus Cristiana [Chamorro], meine Freundin, begrüßte, die Veronica, Miguelito und meine Familie nicht allein ließ; auch die Anrufe von Felix [Maradiaga[ und Arturo [Cruz], die sich über die massive Befreiung freuten, und Juan Sebastian [Chamorro], der mit einem Geschenk für uns alle ankam; einige Armbänder mit der blau-weißen Flagge. Violetita [Violeta Granera], immer liebevoll und unterstützend, kam auch, um unsere Befreiung mit uns zu feiern. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass sie alle zwei Jahre später zu der langen Liste von mehr als 120 politischen Gefangenen gehören würden. Ich sehe aber auch, dass ihre willkürliche Verhaftung als Konsequenz ihres Engagements und ihres Mutes die Diktatoren in Schwierigkeiten bringt. Sie haben ihr Blatt überreizt. Sie wissen, dass sie gegen eine monolithische Wand der Würde gelaufen sind. Sie haben die Konsequenzen ihres Handelns nicht bedacht. Sie fragen sich immer noch fassungslos: Was ist los mit ihnen, warum geben sie nicht nach? Warum geben sie nicht nach, warum geben sie nicht auf? Wir müssen sie doch nur umbringen! Es passt nicht in ihr entfremdetes und fanatisches Denken, dass wir uns alle auf den schwierigsten Weg begeben, nämlich den des zivilen und friedlichen Widerstands. Ein Wahljahr stand bevor, ein Jahr, dem sich Ortega nicht stellen wollte. Sein schlimmster Albtraum: eine vereinigte Opposition mit gewichtigen Kandidaten und Wahllokalen, die sich mit kilometerlangen Schlangen von Wählern füllen, die darauf bedacht sind, ihr Wahlrecht auszuüben, und die darauf bedacht sind, mit überwältigender Mehrheit gegen ihn zu stim-men. Anders als manche vielleicht denken, waren wir nie naiv, wir wussten, dass der schlimmste Fall eintreten würde. Tatsächlich war das im Wesentlichen unser strategisches Ziel, mit starken Kandidaturen anzutreten, ein inklusives und demokratisches Wahlumfeld durchzusetzen, uns auf nationaler Ebene zu organisieren und freie und transparente Wahlen sowohl national als auch international zu fordern. Wir taten dies im Wissen, dass wir uns wehren mussten und den üblichen Betrügern nicht das Feld überlassen durften. Heute bezahlen meine Brüder und Schwestern im Kampf mit ihrer Freiheit, genau wie wir damals, den Preis für die endgültige Freiheit unseres Heimatlandes. Wenn Sie nicht in der Lage sind, sich diesem Beispiel und diesem Maß an Aufopferung auszusetzen, dann bitte ich Sie, zumindest diejenigen von uns zu respektieren, die es tun. Ich bin mir mehr als sicher und ich habe den Glauben, dass sie alle bald herauskommen werden, so wie am 11. Juni 2019, und wir werden sie zusammen mit all den Brüdern und Schwestern empfangen, die seit Jahren in diesen rot und schwarz gefärbten Kerkern sitzen, mit einer überwältigenden Übereinstimmung moralischer Kraft. Nur Mut, Nicaragua! Von Gott kommt die Veränderung und nichts und niemand kann sie aufhalten. Möge Gott Euch und Eure Familien segnen. Und möge Gott Nicaragua segnen.

Quelle:

https://www.confidencial.com.ni/opinion/la-dictadura-sabe-que-se-encontro-con-un-muro-de-dignidad/?utm_source=Bolet%C3%ADn+Informativo+%7C+Confiden-cial&utm_campaign=2bd477bff0-BOLETIN_DIARIO_CONFIDENCIAL&utm_me-dium=email&utm_term=0_222aa13b5f-2bd477bff0-294758221&mc_cid=2bd477bff0&mc_eid=e82b729fca

Aus dem Spanischen: Manfred Liebel (Nachnamen der erwähnten Personen ergänzt)