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„Klimaschutz statt Armut“

In unserer Tradition des Politischen Frühstücks am Sonntag  haben 33 Menschen am 6.11.  gemeinsam unter der Losung „Klimaschutz statt Armut“ drei Stunden über die soziale Seite der Energiewende, eine Energiewende jenseits von grüner Marktwirtschaft und über Herausforderungen für klima- und sozialbewegte Menschen und Organisationen diskutiert. Die energiepolitischen Maßnahmen der Bundesregierung mögen zwar Stellschrauben für Versorgungssicherheit in diesem Winter sein, zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit und für einen Einstieg in den ökologischen Umbau unserer Wirtschaft sind sie untauglich. Bea Sassermann machte denn auch gleich zu Beginn auf entscheidende Schieflagen in der Beziehung von Klimabewegung und sozialer Bewegung aufmerksam:

  • Die soziale Frage ist bei der Umweltbewegung meist unterbelichtet
  • Die ökologische Frage kommt bei Gewerkschaften und Sozialverbänden zu kurz
  • Der ökologische Fußabdruck ist ungerecht verteilt
  • Die Rolle der Wirtschaft an der Klimakrise wird ausgeblendet
  • Das (Ein-)sparen von Produkten bzw. Produktion ist kein Thema.

Ulrich Franz fokussierte auf die Kritik am Dreifach-Wumms der Bundesregierung. Die 200 Milliarden zur „Entlastung der Bevölkerung“ gehen großenteils vermittelt über Preissteigerungen und Sondergewinne/Extragewinne an die Energiekonzerne. Dass eine wirkliche „Entlastung“ nicht gewünscht ist, zeigt der Abwehrkampf gegen das Bürgergeld, weil dann keiner mehr für billige Löhne arbeiten wolle.  Da die Entlastungsmaßnahmen nach dem Gießkannenprinzip verteilt werden, begünstigen sie auch die 10% der reichsten, die allein für 50% des ökologischen Fußabdrucks verantwortlich seien. Einige markante Zahlen belegen auch den Zusammenhang von Militär und Krieg als Klimakiller Nummer Eins. So wird der Sonderfonds Bundeswehr über 100 Milliarden allein Rheinmetall 42 Milliarden zusätzlichen Umsatz bescheren. Jede militärische Aktivität (auch im Friedensfall) befeuert den Klimawandel ohne Beschränkungsvereinbarungen (vgl. eigenes Flugblatt).

Stephanie Walter skizzierte Ansätze einer Postwachstumsgesellschaft, die sich auf wirkliche Bedürfnisse beschränkt. Besser bedeutet heute noch vor allem: mehr. Mehr Funktionen, mehr Projekte, mehr Arbeit, mehr Zeug. Wenn Dinge oder Ideen verbessert werden sollen, wird automatisch hinzugefügt. Dass es auch zur Verbesserung führen kann, Elemente zu entfernen, denkt kaum jemand. Menschen übersehen diese Möglichkeit systematisch. Schrumpfen scheint bedrohlich fürs System wie für die Individuen. Wer braucht Badewannen mit Lotuseffekt, Kühlschränke groß wie Kleiderschränke, Kinderwagen-SUVs, Dutzende Smartphones und Notebooks, Flachbildschirme: zu viel von allem! Wer braucht 30 Joghurt-Sorten, Billigprodukte mit zweifelhaftem Nutzen, Produkte die schnell kaputt gehen und nicht repariert werden können. Wenn die Reichen sparen würden: Die reichsten 10% der Haushalte verbrauchen 23% der Energie. Das ist viermal so viel wie die ärmsten 40%, die ebenfalls zusammen 23% verbrauchen, dazwischen der Mittelstand (50%) mit 54% Verbrauch. Je höher das Einkommen, desto höher der Verbrauch. Eine ebensolche massive Ungleichheit besteht zwischen der Lebenswirklichkeit zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden. Was braucht es für ein gutes Leben? Es bedeutet eine Freisetzung von Kreativität und menschlicher Arbeitskraft, wenn nur für die unmittelbaren Bedürfnisse produziert und gearbeitet wird. Wir könnten wieder mehr Zeit in reproduktive Arbeit stecken und Muße zulassen. Putzen und Waschen, Kochen, Backen, Nähen, Reparieren, zu Fuß gehen und Radfahren, Fürsorge und Beisammensein, politische Aktivitäten, Nichtstun, Schlafen sind keine Zeitverschwendung! Welche Instanz entscheidet aber darüber, was und in welchen Mengen notwendig ist für das gute Leben und ein Leben innerhalb der planetaren Grenzen? Es gibt widerstreitende Interessen und die Bedürfnisse jedes einzelnen Menschen unterscheiden sich. Es braucht einen fairen Ausgleich, um einen „Öko-Totalitarismus“ zu vermeiden.
Wie eine solche Gesellschaft erreicht, der „System Change“ passiert, skizziert der Film „Der laute Frühling“ als Gewaltfreie Revolution auf basisdemokratischen Grundsätzen. Der Hebel liegt besonders in der wirtschaftlichen Macht: entscheiden, was und wie produziert wird, und in der Selbstermächtigung, indem wir Dinge selbst bzw. selbstbestimmt herstellen.
Die Wirtschaft konvertiert hin zum Gemeinwohl, weg mit sozial und ökologisch schädlichen Produkten und „sinnfreier“ Arbeit. Die Restarbeit wird gerecht umverteilt. Der Weg dorthin geht über die Belegschaften und deren Expertise, über Arbeitskämpfe bis zum Generalstreik, oder Betriebsübernahmen durch Beschäftigte.
Beispiel für gelebte Utopie in großem Maßstab ist Cecosesola, eine basisdemokratische Kooperative jenseits des Kapitalismus, in der 1.500 Beschäftigte Märkte einer venezolanischen Großstadt versorgen, ein Gesundheitszentrum betreiben und ein Bestattungsinstitut führen. Die Menschen haben offenbar Spaß dabei!

Das Fazit der Gewerkschafter*innen für Klimaschutz: es braucht mehr gesellschaftlichen Druck, wie es die Gelbwesten in Frankreich eindrucksvoll demonstriert haben, und die systemkritische Zusammenarbeit von Gewerkschaften, sozialen und Klimabewegung. Mehr organisieren, hilft aus der gesellschaftlichen Vereinzelung! Nachbarschaft muß wieder zum Ort werden, wo Demokratie eingeübt wird.

Auch Silke Iffländer, stellvertretende Geschäftsführerin des ver.di Bezirk Düssel-Rhein-Wupper, stellte Systemkritik ins Zentrum. Seit 1760 hat der Kapitalismus  einen gewaltigen Wohlstand hervorgebraucht, verbraucht aber wachsende Mengen von Energie und Rohstoffen. Damit frißt der Kapitalismus sich selber auf, das Wachstum ist am Ende, egal in welcher Form. Grünes Wachstum ist da auch keine Lösung, Einschränkungen für Alle sind notwendig. Als Weg zum Systemumbau sind staatliche Regulierungen unabdingbar. Soziale Infrastruktur wie Wasser, Verkehr, Krankenhäuser gehören in die öffentliche Hand. Ergänzend sollte jede Bürger*in einen Chip bekommen, auf dem die Co2-Verbräuche markiert würden, um die individuelle Begrenzung des Co2-Kontingentes transparent durchzusetzen.

Schließlich stellte Emil aus Köln die Kampagne „RWE & Co enteignen – Energieproduktion vergesellschaften!“ vor. Mit einer De-Privatisierung und Demokratisierung könne die Energieproduktion, die derzeit in Händen von gewinnorientierten Großkonzernen liegt, gesellschaftlich verwaltet und sozial gerecht und ökologisch gestaltet werden. Konsum- und Regierungsentscheidungen allein reichten für Veränderungen im wirtschaftlichen Handeln nicht aus.

Die Forderungen:

  • Stromproduktion an den Bedürfnissen der Menschen ausrichten
  • Uneingeschränkter Zugang aller und sozial gerechte Organisierung des Stroms
  • Ausschließlich ökologische Stromproduktion
  • Solidarische und marktfreie Organisierung der Grundbedürfnisse durch System Change

Die Kampagne orientiert sich an vier Grundpfeilern für die Stromproduktion: ökologisch, sozial gerecht, Grundbedürfnisorientiert und demokratisch. Damit ist sie antikapitalistisch. Zur Erreichung dieser Ziel können verschiedene Wege -Volksentscheid zur Enteignung im Gemeinwohl, Organisation in Betrieben, Druck auf der Strasse- eingeschlagen werden. Dass die Vergesellschaftung Jobs gefährdet, muß nicht sein.

In der anschliessenden Debatte wurden viele Aspekte vertieft. Für die weitere Diskussion benannte Klaus Heß vier Fragestellungen, die in der breiten Öffentlichkeit systematisch ausgeblendet werden:

  1. Warum muß Klimaschutz immer viel Geld kosten?
  2. Wir werden in der gesellschaftlichen Debatte immer nur als Konsument*innen und Wähler*innen gesehen und können nur in diesen Funktionen Entscheidungen treffen. Wie werden wir wieder zu ökonomischen Subjekten, die Entscheidungen über die Güterproduktion für ihre Bedürfnisse, über ihre Arbeit und damit über die Naturbearbeitung treffen (Arbeitsdemokratie)?
  3. Die Rolle bzw. Verantwortung einer kapitalistisch organisierten Unternehmensstruktur am Klimawandel: Wenn es einen Konsens gibt, dass Wachstumsorientierung in den Klimatod führt und dass Kapitalismus nicht ohne Wachstum geht, wie finden wir den Einstieg in eine neue Ökonomie?
  4. Kapitalismus erzeugt nicht nur Wohlstand, sondern reproduziert ständig mehr Ungerechtigkeit: Das Versprechen mit mehr Wachstum auch zu mehr wirtschaftlicher Teilhabe beizutragen, hat den Ressourcenverbrauch seit den 70er Jahren immens erhöht und gleichzeitig ungerechte Verteilung gesteigert.
  5. Welche Rolle spielen Initiativen, Kollektive oder Genossenschaften für die sozialökologische Transformation, wie können neue Commons (repair cafe, upcycling-Initiativen, solidarische Landwirtschaft, Energiegenossenschaften) zu einer Postwachstumsgesellschaft beitragen?

Die Veranstaltung wurde im Rahmen des Bildungs- und Vernetzungsprojektes „Demokratische Partizipation und sozialökologische Transformation“ vom Infobüro Nicaragua durchgeführt und über das Bundesprogramm Demokratie Leben mit Mitteln des BMFSFJ und der Stadt Wuppertal gefördert. Mitveranstalter:innen waren Wuppertaler Aktionsbündnis Gerechter Welthandel WAT, Gewerkschafter*innen für Klimaschutz, ver.di Wuppertal und Attac Wuppertal. Nächste Veranstaltung am 6. Dezember Unsere Spuren in der Welt – Die EU und ihre Handelspolitik