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Interview mit Gioconda Belli – Man sollte Nicaragua isolieren

Nicaragua: „Man sollte Ortega isolieren“ – NPLA

(Mexiko-Stadt, 27. März 2023, desinformémonos).- „Ich habe keinen Ort zum Leben / Habe die Worte gewählt / Dort sind meine Bücher / Mein Zuhause. Der Garten, seine Kolibris“.

Gioconda Belli (geboren 1948 in der nicaraguanischen Hauptstadt Managua) erinnert sich gerade jetzt an dieses Gedicht, Despatriada (Ausgewiesene), aus dem Jahr 2021, in dem die Regierung Daniel Ortegas ihr gerade die Staatsangehörigkeit geraubt hat. Die Dichterin und Autorin ist eine von mehr als 300 Personen, die von dem nicaraguanischen Autokraten zu Staatenlosen erklärt worden sind und deren Besitz konfisziert wurde. Die Autorin von „Bewohnte Frau“ (La mujer habitada), wohnhaft in Madrid, verließ ihr Land mit dem Plan, eines Tages zurückzukehren. Aber der politische Rückschritt unter Ortega ist so groß, dass eine Rückkehr unmöglich geworden ist. „Jetzt könnte ich ein anderes Gedicht mit dem Titel ‚Ich habe keinen Ort zum Sterben‘ schreiben. In meinem Haus in Nicaragua wollte ich mich zur Ruhe setzen“, beklagt sie in einem Interview mit der Zeitschrift Público. Wie viele andere Stimmen aus dem Exil hat auch Gioconda Belli an der Sandinistischen Revolution teilgenommen. Aber von diesem romantischen Abenteuer ist nur noch die Erinnerung geblieben. Deshalb ruft sie die internationale Gemeinschaft und die gesamte Linke dazu auf, entschlossener gegen die nicaraguanische Regierung Stellung zu nehmen: „Ortega muss ernsthaft isoliert werden, so, wie es auch schon mit Somoza gemacht wurde.“

Das Regime von Daniel Ortega und seiner Frau und Vizepräsidentin Rosario Murillo hat Ihnen vor kurzem zusammen mit dreihundert anderen Exilierten die Staatsbürgerschaft entzogen. Wie erleben Sie diese Situation?

Niemand kann mir meine Nationalität nehmen. Das akzeptiere ich nicht. Ich fühle mich in keiner Weise ausgebürgert, denn mein Land gehört mir; dort wurde ich geboren und ich habe ein Menschenrecht darauf. Das hat mich also nicht sonderlich betroffen, weil mir einerseits andere Länder die Staatsbürgerschaft angeboten haben und ich bereits seit meiner Kindheit die italienische Staatsbürgerschaft besitze. Daniel Ortega wollte mir eigentlich den Reisepass wegnehmen, und das hat nicht funktioniert. Aber der Entzug der Staatsbürgerschaft führte auch zur Streichung aus den Zivilregistern. Ich existiere jetzt nicht mehr in Nicaragua. Es gibt kein Papier mehr, auf dem mein Name steht, es gibt keine Geburtsurkunde. Das ist alles eine wahre Grausamkeit in diesen Zeiten.

Ihr gesamter Besitz in Nicaragua wurde konfisziert?

Die Enteignung war sehr gewaltsam. Mein Bankkonto wurde geschlossen. Unser tägliches Leben wurde auf den Kopf gestellt, weil sie keinen anderen Weg hatten, um uns zu bestrafen. Sie haben alles konfisziert. Sogar die Rente. Kannst du dir das vorstellen? Die meisten von uns sind Rentner*innen, und wir haben keine Ahnung, wie wir all das noch einmal erwirtschaften sollen. Ich habe Freundinnen, die von ihrer Altersrente lebten und nun ohne das notwendige Geld zum Überleben dastehen. Es ist eine Grausamkeit, denn die meisten Personen von uns, die auf der Liste stehen, haben bei der (sandinistischen) Revolution mitgewirkt; wir haben unsere ganze Jugend der Revolution geopfert. Ich hege sehr viel Groll gegenüber dem, was die Regierung da getan hat. Und das, was sie mir antun, ist nichts im Vergleich zu dem, was sie dem nicaraguanischen Volk antun. Wie ist es möglich, dass ein Land wie Nicaragua, das so viel geopfert hat – das Land von Sisyphos, wie ich es nenne, weil wir den Stein hochgerollt haben und er uns wieder hinuntergefallen ist – in den Händen dieser zwei Personen gelandet ist, die, um an der Macht zu bleiben, bereit sind, einen ganzen Teil der Bevölkerung zu zerstören? Sie wollen nur Schafe, sie wollen niemanden, der auch nur ansatzweise kritisch denkt, der darauf hinweisen könnte, dass etwas schiefläuft.

Konnten Sie mit Ihren Angehörigen und Freund*innen in Nicaragua sprechen? Wie gehen diese dort mit der Unterdrückung durch die Regierung um?

Es herrscht Angst. Die Menschen haben Panik. (Gioconda Belli)

Es herrscht Angst. Die Menschen haben Panik. Du bittest jemanden um Hilfe, und sie haben Angst, dir einen Gefallen zu tun. Ich habe keine Anwält*innen finden können, die meinen Fall vertreten. Das kann dir vielleicht eine Idee davon geben, wie viel Angst die Menschen davor haben, dass ihnen etwas passieren könnte. Es ist ein willkürliches Regime, bei dem man nicht weiß, wohin es geht. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir denken, dass sie sich selbst nicht mehr übertreffen können – und dann übertreffen sie sich doch immer wieder selbst. Irgendetwas stimmt in diesen Köpfen (von Ortega und Murillo) nicht. Ich weiß nicht, welchen Plan sie für Nicaragua haben. Es gibt kein Regierungsprogramm, sondern nur ein Paar, das seine Macht verteidigt, auf eine Art und Weise, die sehr brutal und auch kontraproduktiv ist. Denn letztendlich werden sie sich, denke ich, selbst zerstören. ………………….

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